Finnland

Erdbeerschürze, Woll­socke und Lodenmantel

Verkäuferin im Jalavan kauppa
Laura Jalava ist die gute Seele von Jalavan kauppa (© Rasso Knoller)

In der finnischen Kleinstadt Taivalkoski liegt der älteste Kaufladen des Landes. Seit 1883 geht Ware über den Tisch von Jalavan kauppa. Heute verkauft man dort historische Kleidung, antiquarische Bücher und viele andere Erinnerungsstücke aus der guten alten Zeit. Das Ladencafé ist für die Einheimischen so etwas wie eine zweites Wohnzimmer und für durchreisende Touristen ein Pflichtstopp auf dem Weg Richtung Lappland.

Sobald ich die braune Holztür von Jalavan kauppa hinter mir geschlossen habe, beginnt meine Zeitreise. Eine fesche Kochschürze im Erdbeermuster hängt an einem Bügel von der Decke und weckt Jugenderinnerungen. Meine Oma hat ein ähnliche Schürze besessen. Daneben baumelt eine Herrenjacke mit Karomuster, wie sie jeder englische Lord mit Freude tragen würde. An der Kasse sitzt gutgelaunt Laura Jalava, die Frau des Chefs. Sie ist fürs Kassieren zuständig und offenbar multitaskingfähig. Denn während sie eine Frage nach der anderen beantwortet, sorgt sie für Warennachschub. Mit flinken Fingern strickt sie bunte Socken. Die Farbkombination aus Blau, Gelb, Lila und Rosa gefällt vielleicht nicht jedem. Doch auch wer eher auf schlichtere Farben steht, findet ein passendes Exemplar. Auf dem Tisch, auf dem Lauras frühere Werke zum Verkauf liegen, gibt es genügend Auswahl. Außerdem passen die bunten Socken farblich ganz ausgezeichnet zu den Lutschern in dem Verkaufsständer vor der Kasse. Apropos Kasse: Auch die ist natürlich älteren Datums und muss durch das Drehen einer Handkurbel dazu überredet werden, das Fach fürs Kleingeld freizugeben.

»Es gibt hier wirklich viele Sachen«, sagt Laura. Und: »Wir haben alles ein bisschen chronologisch sortiert.« Das fällt mir nicht auf. Allerdings bin ich auch keine Experte, was das korrekte Alter historischer Kleidung angeht. Die Skistiefel, die ich im nächsten Raum entdecke, wird man wohl in den zwanziger Jahren benutzt haben. Oder war es doch zehn Jahre später? Der Wintermantel aus festem Loden – oder ist es Wolle? – ist perfekt geeignet, um den Dezemberstürmen im Norden Finnlands zu trotzen. Egal aus welchem Material er nun ist, mir jedenfalls gefällt er. In einem der Mäntel finde ich ein Preisschild, das genauso alt ist wie der Mantel selbst. Es verrät, dass er in Turku hergestellt wurde und für Träger der Größe 40 geeignet ist. Damit bin ich dann wohl raus und muss mir keine Gedanken darüber machen, ob der darauf handschriftlich notierte Preis von 3490 Finnmark damals teuer war und was das Teil heute kosten würde.

Jalavan kauppa in Taivalkoski, Finnland
Hereinspaziert – Jalavan kauppa in Taivalkoski (© Popova Valeriya/shutterstock.com)

An der Route nach St. Petersburg

Mikko Jalava betreibt den Laden seiner Vorfahren in fünfter Generation. Er ist Nachkomme eines fahrenden Händlers, der einst aus Karelien hierherzog, sesshaft wurde und ein Geschäft eröffnete. Wer sich fragt, wie einer auf die Idee kommt, gerade im fernen Taivalkoski seine Waren anzubieten, dem gibt Laura gerne eine Antwort – und das natürlich, ohne die Strickarbeit wegzulegen. So entlegen wie man meine, war die Ortschaft damals gar nicht, erklärt sie, lag sie doch an einer Handelsstraße, die bis ins russische St. Petersburg führte. Ohnehin kauften am Anfang nicht nur die Arbeiter des örtlichen Sägewerks hier ein, sondern auch Großhändler, die sich vor allem für die Pelze aus Finnlands Norden interessierten. 1908 hatte Jalavan kauppa die Lizenz für den An- und Verkauf von Häuten und Fellen bekommen und wurde danach zu einem wichtigen Warenumschlagplatz. Der Laden war damals so eine Art Trapperstation, in der Jäger und Fallensteller ihre Felle verkauften.

Von Tartu nach Taivalkoski

Dass Laura, die eigentlich viel weiter aus dem Süden, aus Tampere, stammt, hier im Norden landete, hat sie der Tatsache zu verdanken, dass Mikko Jalava 2004 die Schnauze gehörig voll hatte vom elterlichen Kaufladen und zum Geschichtsstudium ins estnische Tartu zog. Dort studierte auch Laura. Die beiden lernten sich im Sprachkurs kennen, verliebten sich ineinander – und zehn Jahre später übernahmen sie gemeinsam Jalavan kauppa in Taivalkoski. Der Weg dorthin war aber keineswegs vorgezeichnet, denn eigentlich konnten sie sich nicht vorstellen, ihr weiteres Leben im finnischen Norden zu verbringen. Angeblich, so jedenfalls hat es Mikko einer finnischen Zeitung erzählt, war der Wunsch, nach Taivalkoski zurückzukehren, auf dem Konzert einer finnischen Band entstanden, die in Estland auf Tournee war. Offenbar hatten die finnischen Töne das Heimweh des stattlichen Mannes geweckt, denn noch am selben Abend fasste er den Entschluss, den Kaufladen seiner Eltern in Taivalkoski zu übernehmen.
Irgendwie ist die Zeit stehengeblieben in dem Laden im Norden. Nicht einmal der ewige Kalender an der Wand gibt Auskunft. Auf dem ist als aktuelles Datum der 33. Dezember eingestellt. Eine Jahreszahl wiederum ist gar nicht notiert. Das passt zu Jalavan kauppa, denn auch hier bewegt man sich im zeitlosen Raum, irgendwo zwischen 1920 und 1960.

Info: Jalavan kauppa, Mikonkuja 2, 93400 Taivalkoski, www.jalavankauppa.fi

Cover Reiseführer Finnland

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer FINNLAND von Rasso Knoller.

FINNLAND

Mit Helsinki, Turku, Ostsee, Schären, Seenplatte und Lappland

3., aktualisierte Auflage 2022
300 Seiten
ISBN 978-3-89794-607-1

18,95 €

 

Im Trescher Verlag sind weitere Reiseführer zu Zielen in NORDOSTEUROPA und im BALTIKUM erschienen.