Brandenburg

Krokodile in Woltersdorf

Badestelle am Woltersdorfer Kalksee
Die Badewiese »Am Film« am Woltersdorfer Kalksee (© Kristine Jaath)

Seit über 750 Jahren wird in Rüdersdorf bereits Kalk abgebaut, und auch der Woltersdorfer Kalksee begann sein Dasein einmal als Kalktagebau. Der Aufschluss zwischen Woltersdorf und Rüdersdorf wurde später geflutet – der Kalksee entstand. Der nach wie vor beliebte Badesee erlebte vor über 100 Jahren auch einen glamourösen Filmauftritt.

Kaum zu glauben, aber wahr – der »Tiger von Eschnapur«, wie wir ihn aus dem Kino kennen, durchstreifte in Wirklichkeit märkischen Sand. Von 1919 bis 1921 ließ der Filmpionier, Regisseur und Produzent Joe May am Woltersdorfer Kalkseeufer eine knapp 30 Fußballfelder große Kulissenstadt aus dem Boden stampfen, damals eine der größten Europas. Stummfilm-Kassenschlager wie »Herrin der Nacht« nach einem Drehbuch Fritz Langs oder der Zweiteiler »Das indische Grabmal/Der Tiger von Eschnapur« nach dem gleichnamigen Roman Thea von Harbous wurden am Kalksee von Regisseur May auf Zelluloid gebannt. Dazu schwammen eigens aus dem Berliner Zoologischen Garten geliehene Krokodile in einem Becken im See. An Land fauchten Indische Tiger aus Hagenbecks Tierpark, und Elefanten stampften durchs Gras, die der Zirkus Sarrasani zur Verfügung gestellt hatte. Am Seeufer erhoben sich ein riesiger Maharadscha-Palast sowie zwei Gopura-Tempel, und eine imposante Freitreppe führte zum Wasser hinab. Hunderte Filmarbeiter und tausende Statisten in exotischen bunten Kostümen bevölkerten Woltersdorf. Allein das »Indische Grabmal« soll die für die damalige Zeit ungeheure Summe von 20 Millionen Mark verschlungen haben.

Von der einst prächtigen Kulissenstadt ist schon lange nichts mehr zu sehen. Tausendsassa Joe May, einer der kreativsten Pioniere des deutschen Films seiner Zeit, emigrierte nach der Machtergreifung der Nazis 1933 nach London und dann weiter nach Hollywood. Bereits 1929 begann der Verkauf des Geländes »Am Film«. Doch der Name der Badewiese am Kalksee erinnert noch an die legendäre Stummfilmwerkstatt. Und wenn es in Woltersdorf heute heißt »Komm, wir gehen zum Film«, ist damit nicht etwa ein Casting oder ein Probesprechen gemeint, sondern die Badewiese »Am Film« und der Sprung dort ins erfrischende Nass.

Cover Reiseführer Brandenburg

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer BRANDENBURG von Kristine Jaath.

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