Die Deutschen trinken pro Kopf und Jahr so um die 29 Liter Tee. Das ist eine Menge, über die die Ostfriesen nur lächeln können, denn sage und schreibe 300 Liter Tee trinken sie pro Person und Jahr. Das stellte das Rekord-Institut für Deutschland mit Sitz in Hamburg fest. Damit ist Ostfriesland Weltmeister im Teetrinken, deutlich vor Irland, das es auf 220 Liter pro Person und Jahr bringt. Im angeblichen Teetrinkerland England schaffen sie mal gerade schlappe 170 Liter pro Person und Jahr.
Ostfriesen ohne Tee – das geht gar nicht. Das musste auch Friedrich der Große erfahren, als er 1768 über die Kriegs- und Domänenkammer versuchte, den Teekonsum einzuschränken, damit das Kraut nicht für viel Geld in fernen Ländern gekauft werden musste. Die Stände Ostfrieslands verwickelten die Kriegs- und Domänenkammer in Aurich in einen jahrelangen Briefwechsel, bis Friedrich der Große aufgab.
Dem französischen Kaiser Napoleon erging es nicht anders. Als er versuchte, mit seiner Kontinentalsperre England niederzuringen, und jeden Import verbot, schmuggelten die Ostfriesen, was das Zeug hielt. Und selbst noch die NS-Diktatur musste den Ostfriesen den überall im Reich als »entbehrliches Genussmittel« nicht mehr erhältlichen Tee gegen Lebensmittelmarken mit der Aufschrift »Teetrinker-Bezirk-Weser-Ems« liefern.
Schon 1779 schrieben die Ostfriesischen Stände nach Berlin: »Der Gebrauch des Thees und Caffee ist hierzulande so allgemein und so tief eingewurzelt, dass die Natur des Menschen schon durch eine schöpferische Kraft müsste umgekehrt werden, wenn sie diesen Getränken auf einmal gute Nacht sagen sollten.« Ins heutige Deutsch übersetzt: Außer dem lieben Gott – er ist mit der schöpferischen Kraft gemeint – kann keiner den Ostfriesen den Teegenuss austreiben. Und wir können getrost ergänzen: auch nicht der absolutistisch regierende König in Berlin.
Welterbe Ostfriesische Teekultur
Aber nicht der außergewöhnlich hohe Konsum von Tee bewog die Deutsche UNESCO-Kommission 2016, die Ostfriesische Teekultur in das deutsche Verzeichnis der immateriellen Kulturgüter aufzunehmen. Ausschlaggebend war die lebendige Tradition des gemeinsamen Teetrinkens auf der ostfriesischen Halbinsel.
Die Ostfriesische Teekultur fängt mit der Teemischung an, die nur als »echte ostfriesische Mischung« bezeichnet werden darf, wenn sie in Ostfriesland gemischt wird. Verwendet werden dabei verschiedene Schwarzteesorten – vor allem Assam –, die zusammen einen kräftigen Teegeschmack ergeben.
Weiter geht es über die Art der Teezubereitung bis hin zur ostfriesischen Teezeremonie. Die Kanne wird mit kochend heißem Wasser ausgespült. Dann wird für jede Tasse auf dem Tisch ein Löffel Tee in die Kanne gegeben. Dazu kommt noch ein Extralöffel für die Kanne. Die Teeblätter werden mit kochend heißem Wasser übergossen, und die Teekanne kommt auf das Teestövchen. Drei bis vier Minuten muss der Tee ziehen. Dann endlich ist es soweit.
In die kleinen, flachen, hauchdünnen Tassen aus Porzellan kommt ein Kluntje (kristallisierter Zucker), über den der Tee gegossen wird. Dabei knistert der Kandiszucker vielversprechend. Mit einem breiten Löffel wird dann am Rand der Tasse vorsichtig Sahne auf den Tee gebracht, sodass sich eine Wolke (Wulkje) entwickelt, die auf dem Tee schwebt und auch ein wenig in den Tee versinkt. Der Tee wird auf keinen Fall umgerührt, denn nur so sichert man sich ein dreifaches Trinkerlebnis: Erst die milde Sahne, dann der kräftige Tee und am Ende der süße Kluntje.
Zum Tee gibt es Teegebäck, zu besonderen Anlässen auch Rosinenbrot (Krintstuut). Und nicht vergessen: Nachgeschenkt wird in Ostfriesland so lange, bis der Gast seinen Teelöffel in die Tasse stellt. Mancher Ortsfremde hat sich in Unkenntnis dieser Tradition schon einen wahren Teerausch angetrunken. Der schwarze Tee, der für die Ostfriesenmischung verwendet wird, enthält Teein, das genauso aufputscht wie Koffein.
Eine über 400 Jahre alte Tradition
Begonnen hat die Teesucht der Ostfriesen nach 1610, als Schiffe der Niederländischen Ostindien-Kompanie erstmals Tee nach Europa brachten. Bei den engen Beziehungen der Ostfriesen zu den Niederlanden dauerte es nicht lange, bis das Getränk in Ostfriesland angekommen war. Anfangs nur als Medizin verabreicht, trat der Tee am Ende des 17. Jahrhunderts seinen Siegeszug an.
Im Jahr 1806 wurde in Leer das Teehandelshaus Bünting gegründet, in dem Johann Bünting die erste ostfriesische Teemischung herstellte und verkaufte. Heute ist Bünting Grünpack ein deutschlandweiter Begriff und die Firma einer der größten Arbeitgeber in der Region. Carl Thiele und Peter H. Freese gründeten 1873 im Emden einen Großhandel mit Kolonialwaren, in dem sie schon bald eine eigene Teemischung anboten. Sie ist heute als Thiele-Tee bekannt.
Die Firma Onno Behrends wurde 1887 in Norden gegründet und schloss sich 1987 mit der Ostfriesischen Teegesellschaft zusammen. Nach wie vor wird in dem 1899 in Norden errichteten Fabrikgebäude der Onno-Behrends-Tee gemischt, kontrolliert und verpackt.
Auf’s Wasser kommt es an
Falls Sie nun einen echten Ostfriesentee erwerben und ihn bei sich zu Hause zubereiten, sollten Sie sich nicht wundern, wenn er zu Hause nicht so schmeckt wie in Ostfriesland. Ostfriesen, die wegen der hohen Arbeitslosigkeit in ihrer Heimat viele Jahre in den Autofabriken Baden-Württembergs arbeiteten, nahmen im Kofferraum ihrer Pkws kanisterweise Wasser aus der heimischen Leitung mit, damit sie während der Arbeitswoche einen richtigen Tee zubereiten konnten. Und auch heute führen Ostfriesen in ihren Wohnmobilen Kanister mit heimischem Wasser mit, um daraus einen Tee zu bereiten. Das Wasser in Ostfriesland gilt als sehr weich.
Aus persönlicher Erfahrung kann der Autor dieser Zeilen hinzufügen: Nirgends schmeckte der Tee so gut wie bei der Oma in Jheringsfehn. Da lag’s wohl an dem Wasser aus der Regenback (Zisterne).
Wer mehr über die ostfriesische Teekultur erfahren möchte, besucht das Ostfriesische Teemuseum Norden oder das Bünting Teemuseum in Leer, wo man auch an einer Teezeremonie teilnehmen kann.
Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer OSTFRIESLAND von Enno Wiese.
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