Kein Buch über Saudi-Arabien oder die Wüste kommt ohne die Erwähnung des Kamels, genauer gesagt des Dromedars aus. Ohne dessen hervorragende Anpassung an die klimatischen Verhältnisse wäre ein Überleben der Menschen in den Wüstengebieten unmöglich gewesen, und es hätte keine großen Handelswege wie die Weihrauch- oder Seidenstraße gegeben. Trotz der großen Herden wird ihr Fleisch nur zu besonderen Anlässen als großzügiges Mahl serviert.
Plötzlich Stille. Langsam stolziert sie über den Laufsteg, die Beine schlank und wohlgeformt, die Hüfte wiegt sanft hin und her, ein Raunen geht durch die Menge. Die spitzen Lippen des Schmollmundes formen ein überlegenes Lächeln, ihre langen Wimpern sind ungeschminkt und echt, umrahmen dunkelbraune Augen, die im wahrsten Sinne des Wortes hochnäsig von oben herab auf die Jury blicken. Und dann dieser traumhafte Höcker.
Ja, auch so etwas gibt es in Saudi-Arabien – einen Schönheitswettbewerb für Kamele. Beurteilt werden unter anderem Höcker, Körperhaltung sowie die Form des Kopfes. Der Siegerin bzw. ihrem Besitzer (oder ihrer Besitzerin!) winken Prestige und hohe Preisgelder. Die Rede ist von rund 60 Millionen Euro. Da kommt der ein oder andere in Versuchung, der Eleganz etwas nachzuhelfen. Wie zuletzt 2021, als 40 vierbeinige Konkurrentinnen wegen aufgespritzter Lippen und kosmetischer Aufbesserung der Höcker disqualifiziert wurden – ein landesweiter Skandal!
Ata Allah – Geschenk Gottes
Eigentlich handelt es sich um das Camelus dromedarius, denn »richtige« Kamele haben zwei Höcker und leben hauptsächlich in Asien. Aber da sie zur gleichen Familie gehören, lassen wir es bei »Kamel«. Seit Tausenden Jahren ist es ein wesentlicher Bestandteil im Leben der Menschen Arabiens. Erst vor wenigen Jahren fanden sich im Nordosten nahe Sakaka in den Fels gehauene, lebensgroße Kamelskulpturen, die 7000 Jahre alt sein könnten.
Die Legende berichtet, dass ein Kamel dem Propheten Mohammed einst das Leben rettete. Daraufhin zeigte sich dieser so dankbar, dass er ihm den 100. Namen Allahs verriet, während den Menschen bis heute nur 99 bekannt sind.
Selbst wenn Kamele heute nicht mehr die wichtige Rolle als Reit- und Packtier, Woll-, Milch-, und Fleischlieferant spielen, werden sie in Gesang, Tanz und Gedichten nach wie vor hoch verehrt. Dass die arabischen Wörter für »Kamel« (dschamal) und »schön« (dschamiel) derselben Wurzel entstammen, sagt viel über die Wertschätzung dieser Tiere aus! Heute gibt es noch weit über 500 000 Kamele in Saudi-Arabien.
Anpassungskünstler in karger Umgebung
Durch ein paar erstaunliche Kniffe ist dieses Tier wie kein anderes den harschen Bedingungen in der Wüste angepasst. Die Wimpern sollen die Augen vor Sand schützen – ebenso wie die mit extra Muskeln verschließbaren Nüstern. Schon der Geschichtsschreiber Plinius berichtete, das Kamel besitze ein Organ zur Speicherung von Wasser. Das ist so nicht richtig, denn es kann an verschiedenen Stellen in seinem Körper Wasserreserven anlegen. Im Höcker speichern Kamele zwischen 18 und 27 Pfund Fett, das zur Energiegewinnung verbrannt wird. Dabei wird Wasserstoff frei und verbindet sich mit dem eingeatmeten Sauerstoff zu Wasser. Das ergibt pro Pfund Fett etwa einen halben Liter.
Kamele versuchen, so wenig wie möglich zu schwitzen. Nachts sinkt ihre Körpertemperatur stark ab und steigt am Morgen nur langsam an. Wird es sehr heiß, kann sich ihr Blut schon mal auf 43 °C erwärmen – für andere Säugetiere ein tödlicher Wert! Verliert ein Mensch circa 12 Prozent seines Wasservorrats, ist er hin. Ein Kamel jedoch kann bis zu 25 Prozent abgeben und diesen Verlust innerhalb von 10 Minuten wieder gut machen. Beim Ausatmen wird der in der Atemluft enthaltene Wasserdampf in der Nase aufgefangen, um damit jene Blutgefäße zu kühlen, die Hirn und Netzhaut der Augen versorgen.
Die ewige Frage, wie lange ein Kamel ohne Wasser auskommt, hängt von der Jahreszeit, ob es mit bis zu 400 Kilo (nur auf Kurzstrecken!) beladen ist und wie viel Futter ihm zur Verfügung steht, denn auch aus diesem bezieht es Feuchtigkeit. Unbepackt und vollgetankt kann es im heißen Sommer etwa 25 Tage überstehen.
Kamelrennen in Saudi-Arabien
Heute sind Kamelfestivals ein fester Bestandteil des Kulturlebens, zu deren Programm nicht nur Schönheitswettbewerbe gehören, sondern auch Kamelrennen. Wohlhabende Familien leisten sich Rennkamele, die bereits im Alter von drei Jahren ihren ersten Wettlauf bestreiten und dann zehn Jahre Zeit haben, sich in die Annalen des Rennsports zu schreiben. Damit das gelingt und es bei Geschwindigkeiten von 35 km/h nicht schlapp macht, wird es von Spezialisten mit ausgesuchter Nahrung versorgt.
Leider ist jedoch auch dieser Sport nicht von Doping verschont geblieben, obwohl den Übeltätern neben drakonischen Strafen der völlige Verlust ihres Ansehens droht. Die Rennen finden wegen der Temperaturen in den Wintermonaten statt. Leider ist zu dieser Zeit auch die Brunft, weshalb aus verständlichen Gründen strikt nach Geschlechtern getrennt an den Start gegangen wird! Gut 90 Prozent der Renntiere sind allerdings sowieso weiblich.
Ein sehr umstrittenes Thema war in der Vergangenheit der Einsatz von Kinder-Jockeys. Diese wurden manchmal im Alter von vier oder fünf Jahren auf dem Kamelrücken festgebunden, weil sie sich nicht von allein oben halten konnten. Hin und wieder kam es zu (auch tödlichen) Unfällen. Dann löste zu Beginn der Nullerjahre eine Erfindung aus der Schweiz das Problem: Roboterjockeys zu 4500 Euro das Stück. Bei vielen traditionellen Rennen sitzen aber wie seit Jahrhunderten richtige Jockeys im Sattel. Seit 2024 wird in Saudi-Arabien neben den Sprintrennen auch ein Ausdauerwettbewerb über eine Distanz von 16 Kilometern ausgetragen, der in Al Ula stattfindet. Lange Jahre eine Domäne der Männer, gibt es bei dieser Veranstaltung auch ein Rennen nur für weibliche Jockeys.
In Riyadh bietet das King Abdulaziz Equestrian Field eine gute Gelegenheit, Kamelrennen zu besuchen. Von November bis März finden dort jeden Freitag und Samstag zwischen 14 und 16 Uhr Rennen statt, einige lokale Agenturen bieten auch entsprechende Ausflüge an, z.B. 365 Adventures. Auf diesem Rennplatz findet auch eines der beiden großen Kamelfestivals statt, das König-Abdul-Aziz-Kamel-Festival. Das andere ist das Kronprinzen-Kamel-Festival in Ta’if, beide finden in den Wintermonaten über mehrere Tage und mit mehreren hundert Rennen statt.
Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer SAUDI-ARABIEN von Henning Neuschäffer.
SAUDI-ARABIEN
Unterwegs zwischen Hejazgebirge und der Golfküste
Jeddah, Al-Ula, Medina, Ha’il, Riyadh, Dammam und die Wüsten
1. Auflage 2025
548 Seiten
ISBN 978-3-89794-570-8
26,95 €
Im Trescher Verlag sind weitere Reiseführer zu Zielen im NAHEN OSTEN und in AFRIKA erschienen.