Triest

Wenn die Bora bläst …

Eine Frau stemmt sich auf einer Mole in Triest gegen die Bora, einen starken Wind
Wenn die Bora bläst, wird es besonders auf dem Molo Audace ungemütlich (© donatellatandelli/shutterstock.com)

»Die Bora wirft sich mir in Wellen in den Rücken«, schrieb Scipio Slataper über diesen plötzlich wie aus dem Nichts, buchstäblich hinterrücks, auftauchenden und stoßweise heftig wehenden Nordostwind. Die Bora entsteht aufgrund des großen Luftdruck- und Temperaturunterschieds, wenn ein Hochdruckgebiet im Osten Europas auf ein Tiefdruckgebiet über der Adria stößt. Dann stürzen die Luftmassen von den Bergen herab und verursachen orkanartige, eiskalte Böen. Sie können eine Geschwindigkeit von über 100 und bis zu 250 Kilometern pro Stunde erreichen und treiben alles, was nicht niet- und nagelfest ist, ins offene Meer hinaus.

Die Bora weht in Triest bisweilen so stark, dass man früher an manchen Häusern Griffe und an manchen Straßen – an der Via Napoleone Cozzi, der Via della Bora und der Via Capitolina – metallene Handläufe (passamani) anbrachte, damit man sich bei starkem Wind daran festhalten konnte.

Jedoch hat der Fallwind unterschiedliche Auswirkungen auf das Wetter: Die »weiße Bora« verdrängt alle schweren Regenwolken und den Nebel und hinterlässt Sonnenschein sowie klare, eisige Luft. Die »dunkle Bora« dagegen weht bei bedecktem Himmel und bringt Regen, Schnee und Eis. Der mit dem Wind plötzlich auftretenden intensiven Abkühlung wird nachgesagt, für Neuralgien und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verantwortlich zu sein.

Menschen stemmen sich gegen die Bora auf einer Brücke über den Canal Grande in Triest
Eine Postkarte von 1903 illustriert die Turbulenzen während Bora (© Gemeinfrei)

Die von den Julischen Alpen kommende Bora verdankt ihren Namen Boreas, der griechischen Sage nach ein Sohn des Astraios und der Eos. Er lebte in einer Höhle im Haimongebirge. Dorthin entführte er, eingewickelt in seinen Sturmmantel, die athenische Königstochter Oreithyia.

In Triest ranken sich zahlreiche Legenden und Märchen um die Bora. Ihr Heulen wird als der wütende Schrei einer Frau gedeutet, die an einer unglücklichen Liebe leidet. Und nun nimmt sie Rache an der Stadt und am Karstland: So soll die Nymphe Bora einst mit ihrem Gatten, dem Gott Tanaris, glücklich auf dem Karst gelebt haben. Tanaris war der König der Wälder und sein Thron befand sich in einer uralten Eiche. Damals wehte die Bora nur sanft, um die heißen Sommer zu kühlen. Im Winter zog sie sich zurück, um den kalten Winden Platz zu machen.

Eines Tages aber fällten die Menschen während der kalten Jahreszeit die Bäume. So musste Tanaris die Wälder verlassen. Als die Bora im Frühjahr zurückkehrte, entdeckte sie, dass ihr geliebter Gatte für immer verschwunden war. Daraufhin zog sie sich in eine Höhle zurück, um ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Vor Trauer von Sinnen, kam sie hervor, um den Menschen ihren Schmerz entgegenzuschreien, und zerstörte nun jeden Winter ihre Häuser. Und das tut sie bis zum heutigen Tag.

Bühne frei für die Bora!

Die Bora ist allgegenwärtig: »Die ganze Stadt ist eine Bühne für das Schauspiel der Bora«, schrieb Giani Stuparich. Am heftigsten weht sie auf der Piazza dell’Unità d’Italia, der Piazza Ponterosso, dem Molo Audace, in der Via San Nicolò und besonders in der Via della Bora. Die Straße wurde nach der Bora benannt, weil sie hier die Fußgänger ganz besonders am Gehen hindert. So jedenfalls erzählt es Antonio Tribel (1833–1891) in seinem Spaziergang durch Triest (1884).

Es gibt sogar ein eigenes Bora-Museum in der Via Belpoggio 9 . Im interaktiven Museum des Magazzino dei Venti (Magazin der Winde) erfährt man alles über Winde und die Bora: Wissenschaftliches, Literarisches und Kurioses.

Cover Trescher-Reiseführer Triest 2025

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer TRIEST von Matthias Jacob.

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