Mongolei

Die mongolische Jurte – eine runde Sache

Jurte mit Solarpanel, Motrorrad und Satellitenschüssel
Jurte mit modernem Zubehör (© Marion Wisotzki)

Die einfache Jurte (mongolisch ger) ist auch heute noch das Heim der mongolischen Nomaden. Seit Jahrhunderten hat sie sich unter den extremen klimatischen Bedingungen bewährt, und sie ist optimal an das Leben der Nomaden angepasst. Veränderungen wie die Nutzung von Scherengittern als Wand oder der Wegfall des schornsteinartigen Aufbaus des Daches haben Funktionalität und Stabilität der Jurte verbessert. 2013 wurde die traditionelle Baukunst der gers in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Jurten gibt es in verschiedenen Größen: kleinere, die als Lager dienen oder auf die Jagd mitgenommen werden, und geräumigere, die zu festlichen Anlässen aufgebaut werden. Der Umfang der Jurte ist von der Anzahl der verwendeten Wände abhängig. Im Alltag sind heute die fünfwandigen Jurten am gängigsten. Eine Wand besteht aus mehreren biegsamen Holzlatten, die so miteinander verbunden sind, dass sie sich scherenartig auseinanderziehen oder zusammendrücken lassen. Kleine »Nägel« aus Leder verbinden die Latten. Fünf auseinandergezogene, im Kreis aufgestellte und miteinander verzurrte Wände umschließen gemeinsam mit dem Türrahmen eine Fläche von etwa 25 Quadratmetern.

Stabil und gut isoliert

In der Mitte der Jurte stehen zwei Stützen, die den Dachkranz halten. Er dient auch als Rauchöffnung, Fenster und Uhr, denn je nach Lichteinfall lässt sich die Zeit genau bestimmen. Auf die gekreuzten Latten der Wände und auf den Türrahmen werden etwa 80 Dachstangen aufgelegt. In einem Winkel von etwa 30 Grad laufen sie auf den Dachkranz zu und werden dort, ähnlich einer Zapfenverbindung, in die dafür eingearbeiteten Öffnungen eingefügt. So ergibt sich, dass an der Jurtenwand eine Höhe von etwa 1,60 Meter erreicht wird und im Zentrum eine Höhe von etwa 2,40 Meter.

Umhüllt wird diese elastische und doch stabile Holzkonstruktion mit Filz. Im Sommer reicht eine Lage. Häufig wird diese noch etwas umgeschlagen, so dass der Wind am Boden durch die Jurte ziehen kann. Obwohl eine hochwertig verarbeitete Filzmatte eine doppelt so hohe Dämmfähigkeit wie eine Ziegelwand aufweist, werden für den kalten Winter drei bis vier Lagen benötigt, um die Wärme halbwegs in der Jurte zu halten. Um die mit Filz bedeckte Jurte werden noch einmal Seile zur Stabilisierung gespannt.

Auf einem kreisförmigen Rahmen errichten sie aus Weidenflechtwerk ihre Jurte, ihr Schlaf- und Wohnzelt. Die Streben bestehen aus Zweigen, die nach oben in einen Reifen zusammenlaufen. Darüber erhebt sich kragenförmig ein Schornstein. Das Gerüst bekleiden sie mit weißem Filz … Vor den Eingang hängen sie ebenfalls Filz, der mit bunten Stickereien verziert ist.
Wilhelm von Rubruk, Franziskanermönch des 13. Jahrhunderts

Haltet den Hund!

Ist der Wechsel des Weideplatzes notwendig, arbeiten alle Familienmitglieder mit, und nach einer Stunde ist die Jurte in der Regel ab- oder aufgebaut. Im neuen Weidegebiet angekommen, bestimmen praktische Überlegungen den konkreten Standort des Lagerplatzes. So heißt es unter anderem, die Entfernung von einer Trinkwasserstelle zu berücksichtigen, darauf zu achten, dass auch bei anhaltendem Regen ein möglichst trockener Boden vorhanden ist. Ebenso müssen bestehende Windverhältnisse bedacht werden.

Im Sommer wird in der Regel ein offenes Tal ausgesucht, während in den Wintermonaten der Lagerplatz eher am Fuß der Berge aufgeschlagen wird, da sie Schutz vor Wind und Schnee gewähren. Ist der rechte Platz gefunden, werden vor dem Aufbau der Jurte die großen Möbelstücke und der Ofen bereits in den Innenkreis der Jurte gestellt, da sie sonst nicht mehr durch die kleine Tür in das Heim getragen werden können.

Besucher nähern sich einer Jurte immer vom Süden her, so dass die Bewohner die eintreffenden Gäste bereits von weitem sehen können. Für Fremde ist Vorsicht vor den Hunden geboten, die zu jeder Jurte gehören. Sie verteidigen Hab und Gut des Besitzers äußerst energisch und halten erst inne, wenn ein Familienmitglied sie anbindet oder deutlich zeigt, dass die Besucher willkommen sind. Deshalb ist es üblich, laut zu rufen »Haltet den Hund!« – »nokhoi khor!« –, wenn man auf eine Jurte zugeht.

Alles hat seinen Platz

Die Gestaltung im Innern der Jurte folgt einer strengen Ordnung, die seit Jahrhunderten ihre Gültigkeit hat. Maßgeblich für die Raumaufteilung ist die Nord- Süd-Achse. Die Jurte wird immer so aufgestellt, dass die Tür nach Süden weist.

Ihr gegenüber, im Norden, befindet sich der Ehrenplatz. Hier werden Dinge aufbewahrt und positioniert, denen eine besondere Wertschätzung zuteilwird. Kleine Buddhafiguren, ein Bild des Dalai Lama, Familienfotos oder Auszeichnungen werden aufgestellt. Manchmal finden sich hier auch kleine kultische Gegenstände, die einem Schutzgeist die Ehre erweisen.

Das Familienoberhaupt hat seinen Platz im Norden. Sein Blick zur Tür, nach Süden gerichtet, teilt die Jurte in eine linke und rechte Seite. Zu seiner Linken, also im östlichen Teil der Jurte, befindet sich die Frauenseite mit all den Utensilien für den Haushalt. Die rechte, westliche Seite ist die der Männer. Hier wird die wichtige Habe der Familie untergebracht, werden Zaumzeug und Sattel aufbewahrt.

Während sich Kinder in der Regel auf der Frauenseite aufhalten, begeben sich Gäste in den westlichen Teil der Jurte. Dabei findet der älteste männliche Gast im Norden neben dem Gastgeber seinen ihm gebührenden Platz. Dem Alter nach gruppieren sich die weiteren Gäste Richtung Süden. Eine geehrte Besucherin wird häufig aufgefordert, sich ebenso in den hinteren Teil der Jurte zu setzen, meist auf die Seite der Frauen.

Im vordersten Teil der Jurte, links und rechts von der Tür, wird gearbeitet, werden im Winter bei strengen Nächten Jungtiere beherbergt, stehen diverse Gerätschaften. Auch wenn dieser südliche Teil der Jurte der Platz für die einfachsten Dinge ist, so ist er doch in den Schutz des gesamten Heims eingeschlossen.

Nicht auf die Schwelle treten!

Die Türschwelle bildet die Grenze zwischen dem behüteten Inneren und den Gefahren von draußen. Wer auf die Schwelle tritt, schreckt die schützenden Geister, und Unglück kann die Jurte erreichen. Auch wenn heute auf einen solchen Frevel nicht mehr die Todesstrafe steht, wie es noch im 13. Jahrhundert am Hofe der Khane gewesen sein soll, und auch wenn heute nicht jeder Mongole an Geister glaubt, so ist es doch üblich, darauf zu achten, dass die Schwelle nicht berührt wird.

In der Mitte der Jurte steht der Ofen. Um ihn dreht sich alles. Er spendet Wärme, auf ihm wird Tee und Essen zubereitet. Er ist aber nicht nur offensichtliches Zentrum des Alltags. Das brennende Feuer stellt den kultischen Mittelpunkt der Jurte dar. Die Gottheit des Herdfeuers hat hier ihren Sitz. Sie gilt als Beschützerin der Jurte und der darin Lebenden.

Damit verbunden sind verschiedene Verhaltensregeln, auf die streng geachtet wird. So wirft man keine Abfälle in das Feuer, weist nicht mit dem Messer auf den Herd und streckt auch nicht die Füße Richtung Feuerstelle aus. All dies könnte die Feuergottheit beleidigen und Unglück über die Familie bringen. Um sie günstig zu stimmen und auch Dankbarkeit für gewährten Schutz zum Ausdruck zu bringen, werden der Gottheit Opfer dargebracht, ein paar Spritzer vom Trunk oder auch ein Stückchen Fleisch.

Cover Trescher-Reiseführer Mongolei

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer MONGOLEI von Marion Wisotzki, Ernst von Waldenfels und Erna Käppeli.

MONGOLEI

Mit Ulan Bator, Wüste Gobi, Mongolischem Altai und Khövsgöl-See

5., aktualisierte Auflage 2023
404 Seiten
ISBN 978-3-89794-550-0

24,95 €

 

Im Trescher Verlag sind zahlreiche weitere Reiseführer zu Zielen in ASIEN erschienen.