Jedes Jahr im März, manchmal auch schon im Februar, sind die Angler wieder da: allein oder zu zweit in kleinen Booten, bei Wind und Wetter, reglos und dick eingemummelt. Andere stehen – manchmal in großen Gruppen – an den Ufern der Schlei oder im Wasser in dichter Gummihose. Sie haben es auf Heringe abgesehen, die aus der Ostsee kommen und in großen Schwärmen die seichteren Gewässer der Schlei aufsuchen, um hier zu laichen.
Weibliche Heringe legen bis zu 20 000 Eier, aus denen nach vier oder fünf Wochen die Jungtiere schlüpfen, berichtet die Fischersfrau Lieselotte Wiese aus Arnis. Kein Wunder, dass sich die Schlei längst als Heringsparadies einen Namen gemacht hat: Wer jetzt – natürlich mit einem Erlaubnisschein in der Tasche – die Angel ins Wasser hält, kann bis zu fünf Tiere zugleich aus dem Wasser ziehen. Die Eimer füllen sich geschwind.
Es gibt viele Heringsarten, und manche Fische können bis zu 25 Jahre alt werden. Nicht nur in der Schleiregion, sondern in der gesamten Ostsee waren diese Fische bereits vor vielen Jahrhunderten wichtige Nahrungs- und Wirtschaftsgrundlage. Zeitgenossen berichteten von Heringsschwärmen um das 9. Jahrhundert herum vor der schwedischen Ostseeküste, die zeitweise so dicht waren, dass die Schiffe steckenblieben. Das jedenfalls erzählen Gabriele Haefs und Jens Mecklenburg in ihrem Buch über den »Mythos Labskaus«.
Die Wikinger aßen und konservierten Heringe und trieben mit ihnen schwunghaften Handel, wie Funde aus Haithabu annehmen lassen. Im 12. Jahrhundert war der Hering bereits ein begehrtes Exportprodukt. In Salz eingelegt und damit konserviert, gelangten die Fische in viele Gegenden Europas. Geräuchert wurde der Schleibückling zur Delikatesse. Bei den Christen galt der Hering – wie auch der Stockfisch – als Fastenspeise. Das war eine prima Sache für Fischer und Händler des Nordens. Denn mit der Christianisierung mussten die Gläubigen zeitweise bis zu 140 Fastentage beachten – der Hering half dabei, den Hunger zu stillen.
Wahrzeichen Heringszaun
Gefangen wurden die Heringe auf unterschiedlichste Art und Weise. Zu den gebräuchlichsten Techniken gehörte bis in die jüngste Zeit die sogenannte Wadenfischerei. Die Waden – zwei etwa 300 Meter lange Zugnetze, die in der Mitte in einen Fangsack mündeten – wurden von zwei Booten und acht Mann gezogen, wobei jeweils bis zu 60 Zentner Heringe gefangen werden konnten.
Seit dem 15. Jahrhundert stellten die Fischer und Anwohner der Schlei an rund 40 Stellen geflochtene Zäune im Wasser auf, in denen sich die Tiere fingen. Als letztes dieser Gestelle in Europa existiert heute noch der Kappelner Heringszaun, der grob die Form des Buchstabens W hat.
Er bestand ursprünglich aus insgesamt 2000 in den Schleigrund gerammten Pfählen aus Eschenholz. Diese waren zwischen 1,80 und 4,50 Meter lang und wurden von waagerecht gesetzten Pfählen unterstützt. Weil inzwischen viele vermodert und von der Schiffsbohrmuschel angegriffen wurden, ersetzten die Kappelner Anfang 2021 rund 800 von ihnen durch Pfähle aus widerstandsfähigem afrikanischem Eukalyptusholz.
Der Zaun ist inzwischen Wahrzeichen und Touristenattraktion. Seit 1979 wird der Fisch mit den jährlichen Kappelner »Heringstagen« zwischen Himmelfahrt und dem darauffolgenden Sonntag gefeiert. Auch einen Krimi mit dem Titel »Heringstage« gibt es übrigens – geschrieben von der umtriebigen ehemaligen Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis.
Matjes, Bismark oder Rollmops?
Werbeschilder künden hier und da vom »Welttag der Fischbrötchen«. Dabei ist bei einem Urlaub an der Schlei jeder Tag ein Tag des Fischbrötchens. Was sonst könnte den kleinen Hunger mittags oder zwischendurch besser beseitigen? Zwischen die hoffentlich frischen Brötchenhälften kommt der Hering in vielerlei Form und Geschmack, vor allem als Matjes, Bismarck oder Rollmops.
Doch wie kam der Matjes zu seinem Namen? Der junge Hering, gerade ein Jahr alt, sei schön und schlank wie ein »Meisje«, sagten sich die Küstenbewohner – und aus dem holländischen Mädchen wurde so der »Matjes«, weil sich das so ähnlich anhört. Das ist eine häufig erzählte Erklärung für den Namen, wer sie nicht glauben will, suche sich eine andere.
Der Bismarckhering wiederum soll nach dem ehemaligen Reichskanzler benannt sein, der den Hering sauer eingelegt sehr schätzte. Unterschiedlichen Versionen zufolge lobte Bismarck einen Gastwirt, der ihm den Fisch so zubereitet serviert hatte. Daraufhin setzte der den »Bismarckhering« auf seine Speisekarte. Anderswo heißt es, Bismarck habe einem Fischkonservenfabrikanten erlaubt, seinen geliebten sauren Hering unter diesem Namen zu verkaufen.
Und der Rollmops, in Essig und Salz eingelegt, soll, wie es im »Mythos Labskaus« heißt, im 19. Jahrhundert in Berlin erfunden worden sein. In der Biedermeierzeit habe man ihn nach dem damals beliebten Mops genannt. Dem sah der Rollmops eben ähnlich.
Auch Kormorane lieben Hering
Neben dem Hering fangen die Fischer in der Schlei vor allem Aale, Flundern, Brassen, Barsche, Felchen, Plötze, Zander, Dorsch und Butt. Für die Schleifischerei gelten seit Jahrhunderten eigene Regeln und Gesetze, die nach den in der Geschichte immer wieder aufflackernden Streitigkeiten zwischen den Holmer Fischern aus Schleswig, Gutsbesitzern, Adligen und Bauern festgeschrieben wurden. »Es kam sogar soweit, dass die Gutsbesitzer die Fischer überfallen ließen und sie ihres Fanges und ihrer Netze beraubten«, berichtet der Boknisser Fischwirtschaftsmeister Hans Christian Green, dessen Familie seit sechs Generationen Fische in der Schlei fängt.
Den größten Ärger bereitet den Fischern heutzutage aber eine andere Entwicklung: Es sind die immer zahlreicheren Kormorane, die sich seit einigen Jahren an der Schlei besonders wohlfühlen. Auf ihren Reisen von Norden machen sie immer länger hier Rast und lassen sich zu Tausenden auf den Bäumen am Ufer nieder. Grund ist wohl der Klimawandel. Dabei vertilgt jeder dieser schwarzen Räuber täglich bis zu einem halben Kilo Fisch.
Freizeitangler, die hoffentlich bescheidener sind, brauchen für die Schlei und im Bereich des Ostseeufers neben ihrem Jahresfischereischein noch einen Erlaubnisschein, der aber vielerorts zwischen Schleswig und Maasholm unkompliziert zu erhalten ist.
Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer SCHLEI von Franz-Josef Krücker, Jutta Lietsch und Andreas Lorenz.
SCHLEI
Mit Schleswig, Eckernförde, Angeln und Schwansen
2., aktualisierte Auflage 2023
212 Seiten
ISBN 978-3-89794-655-2
12,95 €
Im Trescher Verlag sind zahlreiche weitere Reiseführer zu Zielen in DEUTSCHLAND erschienen.