Schlösser der Loire

Königlicher Stufenplan – Treppen in der Renaissance

Treppenturm der Renaissance am Schloss von Blois
Wird Leonardo da Vinci zugeschrieben: der Treppenturm im Château de Blois (© Heike Bentheimer)

Die Schlösser der Loire sind einrucksvolle Zeugnisse der Prachtentfaltung. Portale und Treppen wurden in der Renaissance zum Aushängeschild der königlichen Residenzen. Es entstanden wahre Meisterwerke dieser besonderen Willkommenskultur.

Durch Torbauten, Portale und Treppen zeigt sich am deutlichsten der Unterschied zwischen einer Burg und einem Schloss. Eine mittelalterliche Burg ist auf Verteidigung ausgelegt und schottet die Bewohner notfalls von der Außenwelt ab. Darum waren Torbauten und/oder Portale von Burgen abzuriegeln und wenig einladend. Mit der Erfindung der Artillerie im 15. Jahrhundert wurden diese Verteidigungsstrategien schließlich obsolet. Ein neuzeitliches Schloss hingegen will standesgemäß repräsentieren und daher auch einen entsprechenden Zugang bieten. Ab der Renaissance wurden Portale und Torbauten zu einem gestalterischen Element. Sie stellten den ersten architektonischen Höhepunkte des Empfangsweges dar, mit dem der Schlossherr seine Gäste beeindrucken wollte. Immerhin waren sie das Erste, was ein Besucher in der Regel erblickte.

Während Torbauten im Aussehen wenig innovative Umgestaltung erfuhren, rücken Portale verstärkt in den Mittelpunkt der Empfangsarchitektur. Der antike Triumphbogen wurde zum konzeptionellen Leitgedanken in der Renaissance. Drei Faktoren charakterisieren das antike Vorbild: der von Säulen und Nischen flankierte Rundbogen für den Triumphzug, die Attikazone für die Verherrlichung des Imperators durch Inschriften oder Reliefs und eine bekrönende Skulptur oder Figurengruppe. Daran orientieren sich auch die Eingangsportale der französischen Renaissanceschlösser. Zum dekorativsten Element entwickelt sich die bekrönende Skulptur, die in Gestalt von Reiterstandbildern des Königs oder des Hausherrn in Nischen über dem Durchgangsbogen eingestellt wird. Bestes Beispiel dafür ist der Eingang zum Schloss von Blois.

Willkommen, bienvenue, welcome

Treppen gab es anfangs in Burgen überhaupt nicht, sondern nur Leitern, die man im Angriffsfalle hochzog, um sich zu verschanzen. Steinerne Wendeltreppen in Türmen waren so konzipiert, dass sie es dem Angreifer so schwer wie möglich machten. Solche Treppen drehten sich üblicherweise im Uhrzeigersinn. So hatte der von unten nach oben drängende Feind die Spindel in der Mitte, an der man sich festhielt, rechts. Auf dieser Seite führte der »normale« europäische Ritter allerdings das Schwert. Der von oben zur Verteidigung Kämpfende konnte die Spindel hingegen mit Links umgreifen und mit der rechten Hand das Schwert führen. Von ihren Verteidigungsaufgaben befreit, rücken im 16. Jahrhundert auch die Treppen in den Mittelpunkt. Sie werden zu einem dominierenden Element der Fassadengestaltung, wie das Beispiel Blois aufs Schönste zeigt.

Die Treppe als Bühne und Gleichnis

Treppen als Schauplatz eines prunkvollen Einzugszeremoniells brauchten eine größere Laufbreite, einen sanfteren Anstieg, eine bessere Beleuchtung und eine repräsentativere ornamentale Ausschmückung. Höchste Vollendung fand dieses neue Verständnis einer Treppe in Chambord, wo sie in den Mittelpunkt des Donjons gerückt wurde und in doppelter Ausführung nach oben führt. Die Treppe wird dort zu einem Weg, der aus dem Dunkel ins Helle führt, wird sie doch von einer lichtdurchfluteten Kuppel überragt und endet auf der Dachterrasse.

Dieser dem christlichen Kirchenbau entlehnten Lichtsymbolik wurde in Chambord eine weitere königliche Metapher hinzugefügt: Der Dichter und Philosoph Clément Marot hatte Franz I. den Titel »König der vier Weltgegenden« gegeben. Die Treppe nimmt in Chambord nicht nur das Zentrum des Raums ein, sondern ist gleichzeitig Mittelpunkt der vier Säle, die in alle vier Weltgegenden ausgehen. Der König wird so allegorisch zum Mittelpunkt der Welt – angesichts der Hintergründe, die zum Bau von Chambord geführt haben, eine durchaus naheliegende Interpretation.

Auch als die Treppe im Laufe des 16. Jahrhunderts aus Gründen des Komforts immer öfter in den Bau einbezogen wird und sich nicht länger nach außen richtet, bleibt man dem Treppenturmgedanken noch lange verhaftet. Man entwickelte ein repräsentatives Treppenhaus, das entweder an die Fassade gerückt wird oder in Turmform herausragt, um es eben doch noch von außen sichtbar werden zu lassen. Um die Treppen verbreitern zu können und dadurch für mehr Bequemlichkeit gerade für die Damen mit ihren breiten Röcken zu sorgen, wurde die Wendeltreppe allmählich von gegenläufigen Treppen abgelöst, wie in Chenonceau.

Cover Trescher-Reiseführer Schlösser der Loire

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer SCHLÖSSER DER LOIRE von Heike Bentheimer.

SCHLÖSSER DER LOIRE

Im Garten Frankreichs zwischen Orléans und Angers
Mit den Schlössern Chaumont, Chambord, Amboise, Chenonceau, Blois und Villandry

1. Auflage 2023
456 Seiten
ISBN 978-3-89794-621-7

24,95 €

 

Im Trescher Verlag sind weitere Reiseführer zu Zielen in FRANKREICH erschienen.