Schwäbische Alb

Besuch bei der schwäbischen Venus

Die Venus vom Hohle Fels, Urgeschichtliches Museum Blaubeuren
Die Venus vom Hohle Fels kann man im urmu Blaubeuren bestaunen (© Hannes Wiedmann, CC BY-SA 4.0)

Die Höhlen im Ach- und Lonetal in der Nähe von Blaubeuren können guten Gewissens als eine Wiege der menschlichen Kunst bezeichnet werden. Hier schufen nämlich Höhlenbewohner vor etwa 40 000 Jahren einige der ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte und stellten die ältesten erhaltenen Musikinstrumente her. Zur Einordnung: Mit rund 40 000 Jahren sind manche der Funde von der Alb etwa doppelt so alt wie die berühmten Felsmalereien von Lascaux.

Mit einfachsten Mitteln wurden Materialien wie Mammutzähne oder Geierknochen genutzt, um kleine Präziosen anzufertigen, die der Wissenschaft noch immer Rätsel aufgeben. Handelt es sich bei den Figuren um Talismane, die die Fruchtbarkeit steigern sollten? Oder dienten sie vielleicht kultischen Zwecken? Vielleicht waren sie aber auch nur Vorläufer der reichen Spielzeugmachertradition auf der Alb. Vermutlich wird man das nie genau sagen können …

Zu den herausragendsten Zeugnissen jener Zeit gehören der im Ulmer Stadtmuseum ausgestellte Löwenmensch und die Venus vom Hohle Fels, die man heute im Urgeschichtlichen Museum (urmu) in Blaubeuren bewundern kann. Bereits seit den 1860er-Jahren werden die Schätze aus den Tiefen der Alb geborgen, wenn dies auch zunächst relativ unsystematisch geschah. Im Lauf der Zeit wurden über 50 figürliche Darstellungen gefunden, die meist die lokale Tierwelt jener uns kaum bekannten Zeit abbilden – Mammute, Höhlenlöwen, Bären, Wisente. Aber auch Fabelwesen wie eben der Löwenmensch, halb Mann, halb Tier, wurden zu Tage gefördert und regen seitdem die Fantasie der Menschen an. Grund genug für die UNESCO, sechs Höhlen in der Region 2017 in die Welterbeliste aufzunehmen.

Der Löwenmensch im Museum Ulm
Charakterkopf: der Löwenmensch im Museum Ulm (© Jl FilpoC, CC BY-SA 4.0)

Die Höhlen im Achtal befinden sich rund um den kleinen Ort Schelklingen vor den Toren von Blaubeuren. Der Sirgenstein, der Hohle Fels und das Geißenklösterle können heute besichtigt werden und vermitteln zumindest einen Eindruck davon, wie beengt und entbehrungsreich das Leben einer kleinen Gemeinschaft in der Eiszeit hier ausgesehen haben muss. Gleiches gilt auch für den Bockstein, den Hohlenstein und den Vogelherd, die sich entlang der Lone nordöstlich von Ulm befinden.

Neben den Höhlen lohnen sich vor allem der Besuch des urmu und des Museums der Stadt Ulm sowie der Archäopark Vogelherd in der Nähe von Niederstotzingen. Gerade die Kombination aus Museumsbesuch und eigenständiger oder geführter Höhlenerkundung vermittelt ein gutes Bild von der Eiszeit.

Der Hohle Fels bei Schelklingen

Die vielleicht historisch bedeutendste Höhle der Alb befindet sich östlich von Schelklingen auf dem Weg nach Blaubeuren. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts stieß hier ein Töpfer beim Graben nach Lehm auf einige Knochen. Anschließend wurden die in der Höhle auftretenden Ablagerungen zur Herstellung von industriellem Dünger verwendet, wobei immer wieder Reste von eiszeitlichen Tieren zu Tage gefördert wurden. Um 1900 fand man auch Werkzeuge, die belegten, dass die Höhle in der Eiszeit bewohnt war. Professionelle archäologische Ausgrabungen fanden erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts statt. Bei den mittlerweile jährlich stattfindenden Grabungen wurde die sagenhafte Menge von 80 000 Werkzeugen und 300 Schmuckstücken entdeckt, ein Indiz dafür, dass noch Unmengen an weiteren Schätzen in der Höhle verborgen sein könnten.

Die ältesten Werkzeuge konnten dabei auf die Zeit um 63 000 v. Chr. datiert werden und sind somit noch einmal rund 20 000 Jahre älter als die berühmten eiszeitlichen Funde von der Alb. Aus dem Aurignacien, der ersten archäologischen Kultur Europas (etwa 40 000–31 000 v. Chr.) stammen hingegen kleine Kunstwerke, die man hier und in den Nachbarhöhlen fand. Funde wie die Venus vom Hohle Fels, eine Flöte aus der Speiche eines Gänsegeiers, mehrere Schnitzwerke aus Mammutelfenbein und ein Phallus aus Silitstein beweisen nicht nur die enorme Kunstfähigkeit der eiszeitlichen Bewohner, sondern auch, dass die Höhlen auf der Alb über Zehntausende Jahre hinweg bewohnt waren.

Die sich über mehrere Hallen erstreckende Höhle kann heute sowohl individuell als auch im Rahmen einer Führung besichtigt werden, wobei man sich wundert, wie es Menschen in der engen und dunklen Höhle damals aushalten konnten.

Cover Trescher-Reiseführer Schwäbische Alb

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer SCHWÄBISCHE ALB von Markus Bingel und Lars Dörenmeier.

SCHWÄBISCHE ALB

Mit Tübingen, Ulm und Ostalb

 

1. Auflage 2022
344 Seiten
ISBN 978-3-89794-578-4

16,95 €

 

Im Trescher Verlag sind zahlreiche weitere Reiseführer zu Zielen in DEUTSCHLAND erschienen.