Kreuzfahrten Nil

Der Staudamm von Assuan und die Umsetzung der Tempel Nubiens

Der Tempel von Abu Simbel, Ägypten
Der Tempel von Abu Simbel wurde um 180 Meter nach hinten versetzt ▪ © Jess Kraft/ shutterstock

Mit der Entscheidung, den Nil südlich von Assuan aufzustauen, stellte sich unter anderem die Frage, was mit den zahlreichen Denkmälern längs des Flusses geschehen sollte. Sie würden in den Fluten des Nassersees untergehen und damit für immer verloren sein. Man plante deshalb eine Umsetzung zumindest der wichtigsten Tempel, doch wer konnte das bezahlen? Ägypten und der Sudan hatten nicht die nötigen Ressourcen, um dieses gewaltige Projekt alleine in Angriff zu nehmen. So wandten sich denn die Regierungen beider Staaten 1959 an die UNESCO, die am 8. März 1960 die Weltgemeinschaft um Hilfe bei der Erforschung und Rettung der nubischen Denkmäler aufrief.

»Die Arbeiten am großen Staudamm von Assuan haben begonnen. Noch vor Ablauf von fünf Jahren wird sich das mittlere Niltal in einen riesigen See verwandelt haben. Wunderbare Bauwerke, die zu den großartigsten der Welt gehören, drohen unter den Wassermassen für immer zu verschwinden … Die Wahl zu treffen zwischen dem Erbe aus der Vergangenheit und dem gegenwärtigen Wohlergehen eines Volkes ist nicht einfach… Diese Denkmäler gehören nicht nur den Ländern, die sie ererbt haben. Die ganze Welt hat ein Recht auf ihre Erhaltung. Sie sind ein Teil des allgemeinen Erbes wie die Überlieferungen des Sokrates, die Fresken von Ajanta, die Mauern von Uxmal oder die Symphonien von Beethoven. Schätze von universeller Bedeutung haben ein Recht auf universellen Schutz. Diese Denkmäler können nur gerettet werden, wenn Regierungen, Institutionen, öffentliche und private Stiftungen sowie Menschen guten Willens zusammenarbeiten.«

Vittorino Veronese hielt diese Rede als Generaldirektor der UNESCO – und erhielt ein überwältigendes Echo. Über 20 Staaten beteiligten sich innerhalb der folgenden zehn Jahre an den Arbeiten zur Erforschung Nubiens und der Umsetzung zahlreicher Tempel am Nil.

Ein Rennen gegen die Zeit

Archäologen und Ingenieure kümmerten sich um die Denkmäler, Anthropologen um die menschlichen Überreste der einstigen Bewohner Nubiens. In Teamarbeit erforschte eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern das riesige Gebiet. Allein schon diese Zusammenarbeit war einmalig und brachte viele neue Erkenntnisse. Dennoch war die Zeit knapp, denn bereits 1962 begannen die Fluten unaufhaltsam die ersten Dörfer und antiken Stätten zu überschwemmen.

Im Rennen gegen die Zeit mussten Ingenieure neue Techniken entwickeln, um beispielsweise die empfindlichen Fresken der nubischen Kirchen zu bergen oder bröseligen Sandstein zu festigen. So konnte man immerhin über 20 Tempel, Kapellen und Gräber vor den Fluten des Nassersees retten.

Darüber hinaus bargen die Wissenschaftler zahlreiche Einzelfunde wie Felsritzungen, Grabbeigaben, Schriftfunden und Gebrauchsgegenstände. Sie spiegeln sie die lange und wechselhafte Geschichte der Region wider.

Tempel von Philae, vom Wasser aus egsehen
Der Isis-Tempel von Philae wurde von einer Insel auf eine andere versetzt ▪ © Rhikal (CC BY-SA 4.0)

Die Erfolge aus 20 Jahren internationaler Zusammenarbeit

Allein die Umsetzung des Isis-Tempels von Philae verschlang die Summe von 30 Millionen US-Dollar, die zu einer Hälfte von Ägypten aufgebracht wurde und sich zur anderen Hälfte aus internationalen Beiträgen finanzierte.

»Die internationale Kampagne zur Rettung der Denkmäler Nubiens war von Anfang bis Ende durch einen großzügigen Geist der Zusammenarbeit gekennzeichnet. Sie wird sich unter die riesigen Anstrengungen unseres Jahrhunderts einreihen, um gemeinsam unsere Vergangenheit zu bewältigen und um brüderlich unsere Zukunft vorzubereiten!« Amadou-Mahtar M’Bow, 1980 Generaldirektor der UNESCO, zog diese Bilanz nach 20 Jahren.

Ägypten und der Sudan zeigten ihre Dankbarkeit, indem sie einige der geretteten Bauten als Geschenke ins Ausland gaben: Beispielsweise erhielten Berlin, Madrid und New York auf diese Weise monumentale Tore oder sogar komplette Tempel. Sie sollen als Botschafter dieser gemeinsamen Anstrengung und des einenden Weltkulturerbes dienen.

Mit der Eröffnung des Nubischen Museums von Assuan im Jahr 1997 würdigte Ägypten die Geschichte und Menschen dieses versunkenen Landes. Archäologen aus aller Welt arbeiten weiter an der Erkundung Nubiens: Längst haben sich ihre Forschungen über das Gebiet zwischen erstem und zweiten Katarakt ausgedehnt.

Trescher-Reiseführer Kreuzfahrten Nil 2024 Cover

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer KREUZFAHRTEN NIL von Barbara Kreißl.

KREUZFAHRTEN NIL

Von Abu Simbel über Assuan, Luxor und Minya nach Kairo

5. Auflage 2024
396 Seiten
ISBN 978-3-89794-657-6
21,95 €

 

Im Trescher Verlag sind zahlreiche weitere Reiseführer zu KREUZFAHRTEN erschienen.