Weser

Die Weserrenaissance

Schloss Hämelschenburg, Innenhof mit Treppenturm
Schloss Hämelschenburg (© Hinnerk Dreppenstedt)

Der Begriff »Weserrenaissance« ist weithin geläufig, einer der herausragenden Vertreter dieses Stils, das Bremer Rathaus, dürfte zu den prominentesten Bauwerken in Deutschland gehören. Neben den zahlreichen Schlössern, Rat- und Bürgerhäusern aus dieser Epoche finden sich an der Weser erstaunlich viele Klosteranlagen, die teils zu den bedeutendsten ihrer Art im deutschsprachigen Raum zählen – ein wenig bekannter Reichtum, den zu entdecken unbedingt lohnt.

In keiner anderen europäischen Region außerhalb Italiens wurden mehr Bauten im Renaissancestil errichtet als entlang der Weser, ihren Neben- und Quellflüssen. Dieser Stil vereint Elemente der italienischen und westeuropäischen Renaissance in einer spezifischen Weise, für die der Kunsthistoriker Richard Klapheck 1912 den Begriff »Weserrenaissance« prägte. Die rege Bautätigkeit etwa zwischen 1520 und 1618 war ebenso Ausdruck und Ergebnis der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in diesem Teil Deutschlands wie der geistig-kulturellen Strömung des Humanismus.

Mitteleuropa war im frühen 16. Jahrhundert von einem Bevölkerungswachstum, der Mittelmeerraum gleichzeitig von Missernten geprägt. Die Preise für Getreide stiegen enorm an, wovon die Regionen an Ober- und Mittelweser, »Kornkammer des Deutschen Reiches«, sehr profitierten. Das Getreide gelangte über die Häfen der Handelsstädte entlang der Weser zu ihren Abnehmern in Deutschland und vielen europäischen Ländern, aber auch über zwei zu dieser Zeit bedeutende Handelswege: Der Frankfurter Weg, auch Bremer Straße genannt, verlief von Frankfurt am Main über Minden nach Bremen, der Hellweg auf mehreren Zweigen und Nebenstrecken von den Niederlanden über unter anderem Lemgo und Hameln bis in das Braunschweiger Land. Daneben waren Wolle, Holz und vor allem Sandstein, der hauptsächlich bei Bückeburg (Obernkirchner Sandstein) und am Jakobsberg (Portasandstein) abgebaut wurde, als Exportgut wichtig. In dieser Zeit standen auch manche niedere Adlige – darunter mehrere Vertreter der weitverzweigten Familie Münchhausen – als Söldnerführer im Dienst von Landesherren und wurden dafür sehr gut entlohnt.

So kamen Adlige wie Bürgerliche, über Steuern und Zölle auch einzelne Städte, zu Reichtum. Diese Gewinne flossen nun in Repräsentationsbauten – Schlösser, Adelssitze, Rathäuser –, aber gerade auch in Wohn- und Handelshäuser. In den Bauten drückte sich nicht allein der Wohlstand der Auftraggeber aus, sondern auch ein Selbstbewusstsein, das sich aus der Unabhängigkeit gegenüber Territorialherren, Kaiser und Amtskirche speiste.

Bauhütten und Musterbücher

Es kam zu einer Ausbildung von Bauhütten und Baustilen, die sich gegenseitig beeinflussten und architektonische Ideen aufnahmen, die über die Handelswege in den Weserraum gelangten. Daher kann man die Weserrenaissance auch als Verschmelzung verschiedener europäischer Einflüsse und Vorbilder betrachten, die nicht zuletzt dank der Erfindung von Kupferstich und Buchdruck mittels Blättersammlungen und Musterbüchern den Weg zu den Baumeistern fanden.

Als ältestes Schloss der Weserrenaissance gilt das 1525 vollendete Schloss Neuhaus bei Paderborn. In der Folge erwuchs zwischen Kassel und Bremen, Bielefeld und Helmstedt eine einzigartige Dichte an Wohngebäuden, Schlössern und Burgen – teils als Neubauten, teils als Überformung und Erweiterung bestehender Gebäude, denen eine Fassade vorgehängt oder ein Stockwerk aufgesetzt wurde oder die um einen oder mehrere Flügel erweitert wurden. In vielen Städten sind ganze Straßenzüge im Renaissancestil ausgeführt, Lemgo etwa kann geradezu als Renaissance-Flächendenkmal gelten.

Münchhausenhof in Hessisch Oldendorf
Münchhausenhof in Hessisch Oldendorf (© Hinnerk Dreppenstedt)

Utlucht, Zwerchhaus, Treppenturm

Immer wieder ist unter Fachleuten die Frage diskutiert worden, ob es sich bei der Weserrenaissance überhaupt um eine eigene Stilrichtung handelt oder – nur – um das gehäufte Auftreten von Schloss- und Bürgerbauten, die in einem recht engen Zeitraum errichtet wurden und stilistisch eng miteinander verwandt sind. Die Formensprache wird durch eine Reihe von wiederkehrenden Elementen bestimmt, die sich sowohl an Fachwerk- wie an Sandsteinbauten finden, an Rat- und Bürgerhäusern ebenso wie an Schlössern und städtischen Adelssitzen.

Viele Bauten besitzen zumeist asymmetrisch angeordnete Erker, die, wenn sie ebenerdig angeordnet sind, Utluchten genannt werden. Die Zwerchhäuser, über dem Dachgesims aufragende geschwungene Giebel, sind häufig mehrachsig und mehrgeschossig. Vorgelagerte, aufwendig gestaltete Türme verbinden die Flügel einer Schlossanlage. Sie sind zumeist oktogonal, dabei das Treppenhaus gegen den Uhrzeigersinn ausgeführt und gehen oft auf französische Vorbilder zurück. In den reichen Verzierungen an Fassaden und Giebeln werden die italienischen Einflüsse besonders deutlich, fällt die Vorliebe für schneckenförmige Verzierungen und Schmuckleisten auf. An Fachwerkbauten finden sich zahlreiche rosettenförmige Schnitzereien. Oft sind Sandsteinquader mit Kerben oder geometrisch-abstrakten Ornamenten geschmückt, weisen Putzfassaden eine rautenförmige Schraffur auf. Im vereinzelt anzutreffenden Beschlagwerk wird der niederländische Einfluss besonders deutlich. Diese Ornamente an Giebelkanten und Portalen wirken durch die imitierten Nagelköpfe wie angehaftet.

Manche Häuser tragen einen Figurenschmuck, auch Figurenzyklen. Zu sehen sind Vorbilder aus der Heiligen Schrift, Personifizierungen der fünf Sinne, Planeten-Götter, aber auch Darstellungen der Tugenden. Diese lassen sich als Verarbeitung humanistischen Bildungsgutes verstehen, das entlang der Handelswege seine Verbreitung in Mittel- und Nordeuropa fand. Einige Verzierungen sind natürlich symbolisch: So steht der Löwe für Stärke, Neidköpfe sollen das Böse abwehren, Muscheln symbolisieren die Barmherzigkeit.

Straße der Weserrenaissance

Der Dreißigjährige Krieg brachte die Bautätigkeit zu einem abrupten Ende und führte auch zu einigen Verlusten. Erstaunlich viel aber ist nur wenig verändert erhalten, nicht zuletzt, weil im ausgezehrten und verarmten Land, anders als in Teilen Süddeutschlands, nach Kriegsende die Mittel für barocke Umgestaltungen fehlten. Es ist ein Vergnügen, in den vielen Orten auf Entdeckungsreise zu gehen, sich in die kleinen, dabei so kunstvollen und aussagekräftigen Details zu vertiefen, sich deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede gewahr zu werden.

Die »Straße der Weserrenaissance« verbindet die vielen Orte; das wichtigste Museum zum Thema, das Weserrenaissance-Museum, hat 1989 seinen angemessenen Sitz in Schloss Brake in Lemgo gefunden.

Cover Reiseführer WESER

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer WESER von Hinnerk Dreppenstedt.

WESER

Von Hann. Münden bis nach Bremerhaven
Mit Bad Pyrmont und Steinhuder Meer, Wurster Nordseeküste und Cuxhaven

1. Auflage 2022
432 Seiten
ISBN 978-3-89794-564-7

18,95 €

 

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