Armenien

Stein auf Stein – Wanderung im Azattal

Kühe laufen unter einer steilen Felswand aus Basaltsäulen
Beliebte Wanderstrecke: das Ufer des Azat mit seinen Basaltformationen (© Poliorketes/shutterstock.com)

Der Besuch des Sonnentempels von Garni, des einzigen Reliktes römischer Zeiten, lässt sich wunderbar mit einer weiteren spektakulären Sehenswürdigkeit verbinden: Noch bevor die Menschen des Landes auf der felsigen Ebene hoch über dem Fluss Azat riesige Stätten schufen, um ihren Göttern zu huldigen, war in seinen Schluchten durch die Kraft des Wassers und der Witterung schon ein Tempel aus hoch aufragenden Basaltstelen entstanden. Auf einer leichten Wanderung im Azattal lassen sie sich erkunden.

Nirgendwo in Armenien sind die Basaltblöcke, die die Natur geschaffen hat, höher und eindrucksvoller als hier in Garni. Als ob Tausende von Steinmetzen jahrhundertelang den vulkanischen Stein behauen hätten, ragen diese seltsamen Gebilde bis zu 300 Metern empor. Nirgendwo in Armenien sind auch jene Basaltblöcke, die die Menschen geschaffen haben, älter und eindrucksvoller als hier. Der Überlieferung nach ließ der armenische König Trdat I. auf einem kleinen dreieckigen Vorsprung der Hochebene im 1. Jahrhundert nach Christus einen Tempel im griechisch-römischen Stil errichten.

Der steile Abgrund unter dem Sonnentempel von Garni ist atemberaubend. Unzählige Basaltstelen verwandeln die Landschaft über dem Fluss Azat in eine überdimensionale Orgel. Kaum jemandem fällt beim Anblick des Tempels und der basaltenen Schlucht das Ufer des Azat auf. Sattes Grün, auch wenn die Sonne hoch oben das Gras schon lange braun und dürr hat werden lassen, Nuss- und Apfelbäume und viele Sträucher mit rot und orange leuchtenden Beeren. Der Fluss bildet auch die nordöstliche Grenze des Chosrov-Nationalparks, hier kann man noch ohne Genehmigung wandern.

Einen besonderen Naturgenuss bietet das Ufer des Azat in Richtung Geghard. Von unten kann man auch die Tiefe des Abgrundes hinter dem Tempel von Garni erst richtig einschätzen. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Schlucht des Azat mit ihren Naturwundern zu erwandern. Die erste Variante führt flussaufwärts in Richtung Geghard, die andere ein Stück flussabwärts.

Unter Walnussbäumen

Am einfachsten ist der Abstieg unmittelbar auf der linken Seite des Sonnentempels zu finden. Das sieht gewagter aus, als es tatsächlich ist. Es zeichnen sich zunächst Trampelpfade der Dorfbewohner ab, und  Serpentinen führen schräg nach unten. Man kommt dann bald in einige der nicht umzäunten Dorfgärten mit großen Nussbäumen und kann diese problemlos in Richtung Azat durchqueren.

Hier wachsen Walnussbäume, die einen ganz eigenen Duft verströmen. Viele Armenier setzen die ätherischen Öle des Walnussbaumes auch gezielt ein, der Geruch von seinen Blättern vertreibt die lästigen Stechmücken. Die großen Nüsse werden zu allerlei Leckereien verarbeitet und schmecken auch frisch geknackt wunderbar. Die Dorfbewohner haben auch gar nichts dagegen, wenn man einige Nüsse einsammelt und nascht. Meist sind sie ohnehin beschämend gastfreundlich und laufen gleich mit Nüssen oder Obst herbei.

Nun kann man einfach nach Lust und Laune am Ufer nach links flussaufwärts gehen, da gibt es viele schöne Bäume, die zu einem Nickerchen im Schatten einladen, oder Beeren, die intensiv leuchten. Seien es nun die kleinen von hellorange bis rot leuchtenden Perlen des Sanddorns, den man relativ einfach an seinen langen, schmalen Blättern mit extrem kurzen Stielen erkennen kann, oder die länglichen gelbroten Ölweidenbeeren. Der silbrige Glanz der Blätter dieser Bäume säumt viele Straßen in Armenien, und im Frühjahr verströmen seine zarten gelben Blüten einen durchdringenden süßen Duft. Phschat wird dieser Baum auf Armenisch genannt, der Vieldornige, weil seine Frucht innen seltsame stachelartige Härchen besitzt. Und natürlich gibt es auch hier Hagebutten, die fast überall in Armenien zu finden sind.

Die ganze Schlucht ist gesäumt von riesigen Basaltsäulen und von so mancher Höhle. Leider kann man nicht am Ufer entlang gegen die Fließrichtung bis nach Geghard gelangen. Der Weg wird nämlich ab einem bestimmten Punkt ziemlich eng, und ist mit dichtem Gestrüpp bewachsen. Der Rückweg kann dann entweder wieder über dieselbe Strecke zurückführen oder aber über die neue, asphaltierte Straße, die vom Azat nach oben mitten ins Dorf Garni führt.

Man kann dann wieder zum Ausgangspunkt, dem Tempel von Garni, zurückkehren und auf dem Weg vielleicht einen Blick auf die nette Dorfkirche werfen. Die Streckenlänge hängt davon ab, wie weit man am Ufer flussaufwärts in Richtung Geghard wandert. Auf jeden Fall sollte man mit mindestens eineinhalb Stunden für einen gemütlichen Spaziergang rechnen.

Symphonie der Steine

Die zweite Variante ist eine kürzere und weitaus beliebtere, vor allem bei den Einheimischen. Sie führt über die neue Straße mitten durch das Dorf Garni bis hinab an das Wärterhäuschen, wo sie in die »Symphonie der Steine« abzweigt. Hier heißt es dann, dem Fluss in seine Fließrichtung durch die schmale, hohe Schlucht zu folgen, die hier besonders spektakuläre Basaltstelen und -höhlen hat. Auch hier ist das Ufer malerisch, nur trifft man besonders am Wochenende viele Armenier, die picknicken oder einen kleinen Spaziergang machen. Auch diesmal bleibt es der individuellen Laune überlassen, wie weit man dem Fluss folgt und ob man an ihn noch flussaufwärts in Richtung Geghard wandert.

Natürlich kann man die beiden Varianten auch miteinander verbinden und mehrere Stunden am Azat verbringen. So manches kann dabei in der Basaltschlucht entdeckt werden. Der an einigen Stellen aufgestaute glasklare Azat lädt zum erfrischenden Planschen und Schwimmen ein. Und die Beeren schmecken wunderbar süß.

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Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer ARMENIEN von Jasmine Dum-Tragut.

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