Japan

Japanische Gartenkunst

Kleiner Steinbuddha im Moos mit rotem Herbstlaub
In einem japanischen Garten hat jede Jahreszeit ihren eigenen Reiz (© nuu_jeed/shutterstock.com)

Denken wir bei dem Stichwort »Gartenkunst in Japan« ausschließlich an prächtige Parkanlagen und verwunschene Teegärten, versorgen Japaner noch die kleinsten Lichthöfe und schmalsten Bürgersteige mit Grünpflanzen und harmonischen Steinarrangements. Die Begeisterung fürs Gärtnern durchzieht alle sozialen Schichten. Da wird geputzt und gezupft, gewässert und gegossen. Auch wenn das kleine Bäumchen in einer Styroporkiste in der engen Gasse gedeihen muss, seinem Besitzer ist es die ganze Aufmerksamkeit wert.

Ein Eck ist ein Garten

Kleinstgärten haben in Japan einen vollwertigen Namen: tsubo-niwa. Tsubo bezeichnet die Maßeinheit für Land, gemessen an Tatamimatten, niwa ist das japanische Wort für Garten. Ein Garten, so groß wie zwei Tatamimatten, etwa 3,3 Quadrat­meter, findet sich in den Lichtschächten schlichter Pensionen Kyōtos ebenso wie zwischen den Bürotürmen Tōkyōs. Ein, zwei Büsche Immergrün, ein wenig Kies oder eine Steingruppe genügen, um eine kleine Insel der Ruhe zu schaffen.

Sie sind die Miniaturversionen der großen Wandelgärten, der Teich­gärten, Trocken- und Teegärten. Ihnen allen ist der Grundgedanke des chinesischen Prinzip von Yin und Yang gemein: Wo Schatten herrscht, gibt es auch Licht, wo weiches Wasser fließt, gibt es hartes Gestein. Dies betrachtet man nicht als Gegensatz, sondern als Teile eines Ganzen. Daoismus, chinesische Kosmologie und Geomantie beeinflussten stark die Anfänge der japanischen Gartenkunst.

Teichgärten – eine uralte Tradition

Die weitläufigen Teichgärten sind wohl die älteste Form der japanischen Landschaftsgestaltung. In der Heian-Zeit (8.–12. Jahrhundert) baute man nicht nur die neue Hauptstadt Kyōto ganz nach chinesischem Vorbild, auch die Gärten standen unter kontinentalem Einfluss. Der Adel rezitierte chinesische Gedichte, während er zwischen üppigen Blütenstauden lustwandelte oder auf künstlichen Seen und Kanälen die Landschaft bewunderte.

Leider sind aus der Heian-Zeit keine Gartenanlagen erhalten geblieben, aber einer der berühmtesten Wandelgärten mit großzügigen Gewässern ist der Kōraku-en in Okayama. Er zählt heute noch zu den drei schönsten Gärten Japans.

Steingärten – mehr als geharkter Kies

Mit dem Aufstieg der Kriegerklasse im 12. Jahrhundert änderte sich auch die Gartengestaltung. Die neuen Herren des Inselreiches, Shōgun und Samurai, vertrieben die buddhistischen Klöster in die umliegenden Berge Kyōtos. Die geographisch ungünstigen Bedingungen der Bergklöster in Kombination mit der schlichten Lebensphilosophie des aufkommenden Zen-Buddhismus beeinflusste auch deren Gartengestaltung. Bunter Blumenreichtum verlor an Bedeutung, der Garten wurde räumlich kleiner und diente ausschließlich von einer erhöhten Veranda aus der Betrachtung. Die Natur wird nur noch symbolisch dargestellt.

Der Gipfel dieser Abstraktion sind die berühmten Trockengärten (Kare-san-sui), Gärten aus Granitkies und Fels. In diesen Gartenkompositionen wird allerhöchstens ein wenig Moos geduldet. Der Granitkies, Sand wäre in der Verarbeitung zu fein, wird regelmäßig gereinigt und in bestimmte Muster geharkt. Felsgruppen, immer in ungerader Zahl, bilden kleine Inseln, stellen Wasserfälle und Flussläufe dar. Die Anlagen bekommen dadurch etwas Zeitloses und dienen ausschließlich der Meditation. Die Bedeutung der Arrangements muss der Betrachter jedoch ganz allein für sich selbst finden. Eine endgültige Interpretation gibt es dabei nicht. Das würde dem Geist des Zen-Buddhismus nicht gerecht werden.

Kiesflächen sind übrigens keine Erfindung des Zen-Buddhismus. Die ersten Shintō-Schreine wurden auf gerodeten Waldlichtungen errichtet. Um die Götter in ihrem neuen Wohnsitz willkommen zu heißen, reinigte man den Boden rituell mit einer Schicht aus gewaschenem Sand oder Kies. Noch heute weisen Shintō-Schreine einen abgesteckten Bereich mit Kies auf.

Ein besonders schönes Beispiel ist der Schrein von Kamigamo im Norden Kyōtos. Hier sind nicht nur die Gebäude mit weißem Kies umgeben, vor der Haupthalle des Schreins türmen sich zwei Kegel aus gemahlenem Granit. Doch auch die Plätze vor den kaiserlichen Residenzen schüttete man mit weißem Kies auf, ein deutlicher Hinweis auf die göttliche Abstammung des Tennō!

Teegärten – verwunschen und immergrün

Die Begeisterung des Schwertadels für die Teezeremonie beeinflusste auch die Gestaltung der Teegärten. Die Begrünung der Innenhöfe städtischer Kaufmannshäuser in der Edo-Zeit, Vorläufer der heutigen Tsubo-niwa, geht auf die adeligen Teegärten zurück.

Spielt Wasser in den strengen und knochentrockenen Meditationsgärten gar keine Rolle, ist es in den Gärten rings um ein Teehaus umso essentieller. In der Nähe des niedrigen Eingangs findet sich immer eine Quelle oder ein Wasser­becken. Dort reinigt der Gast sich rituell Mund und Hände, um anschließend alles Welt­liche hinter sich lassend den kleinen Raum zu betreten.

Teegärten müssen nicht groß sein, doch ihre Pfade sollten so angelegt sein, dass der Blick immer wieder auf etwas Neues fällt. Das kann eine besondere Pflanze sein oder ein markanter Fels. Die Wegplatten dürfen unregelmäßig sein, der Besucher soll bewusst auf seinen Schritt achten. Liegt der Garten offen und frei, soll er die umliegende Landschaft mit einbeziehen. Sorgfältig geschnittene Bäume umrahmen den Ausblick auf die fernen Berge oder auf ein Inselchen im See. Diese Technik nennt man Shakkei, »geborgte Landschaft«.

Baumdusche und Nadelpflege

Die Vegetation eines Teegartens ist üppig und erscheint ganz natürlich. Alle Pflanzen sind jedoch mit Bedacht gewählt, gepflanzt und geschnitten. Bevor die Gäste kommen, wird der Garten noch einmal gewässert und abgeduscht, damit die Blätter schön kräftig glänzen. In der Mehrheit sind es immergrüne Büsche und einige wenige Bäume, denen man die unteren Zweige entfernt hat, um ein Gefühl der Tiefe zu erzeugen. Pinie, Bambus und Pflaume, den »drei Freunden des Winters«, begegnet man immer wieder. Blüten findet man im Teegarten selten, alles Bunte und Grelle ist verpönt.

Ganz im Sinne der japanischen Ästhetik erscheinen die Komponenten einfach und schlicht, zeugen aber gleichzeitig von höchster Qualität. Niemals wird man aufdringlich rote Elemente wie eine kleine Brücke oder ein Tor in einem japanischen Garten finden, sie sind ausschließlich Tempel- und Schreinanlagen vorbehalten. Steinlaternen kommen hingegen sparsam zum Einsatz. Sie dürfen verwittern und mit Moos überzogen sein.

Die Pflege überlässt man Profis: Im Frühjahr und im Herbst klettern Gärtner mit ihren weichen Sockenschuhen auf die Bäume und streichen den Pinien sorgfältig mit der Hand die alten Nadeln von den Zweigen. Alte Bäume werden solange gestützt und gepflegt, bis auch der letzte Zeig abgestorben ist. So stehen in vielen Tempel- und Schreinanlagen noch Bäume aus der Zeit des japanischen Mittelalters.

Cover Trescher-Reiseführer Japan

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer JAPAN von Christine Liew, Isa Ducke, Natascha Thoma.

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