Kreuzfahrten Donau

Faszination Donaudelta

Pelikane im Donaudelta
Im Donaudelta brüten bedeutende Bestände von Rosapelikanen (© Calin Stan/shutterstock.com)

Das Donaudelta gehört zu den faszinierendsten Landschaften Europas. Dieses große, in weiten Teilen menschenleere Gebiet weist zwischen Wüste und Urwald eine ganze Palette von Landschaftsformen und eine beeindruckend reiche Tier- und Pflanzenwelt auf. Zwischen Tulcea und dem Schwarzen Meer fließt die Donau fast ohne Gefälle dahin. 20 Prozent des Gebiets liegen sogar unterhalb des Meeresspiegels, und so konnte sich eine Übergangszone ausbilden, in der die Grenzen zwischen Fluss, Land und Meer verschwimmen. Geologen datieren ihre Bildung auf das 10. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung. Das Delta bezeichnen sie daher auch als den »jüngsten Boden Europas«.

Das Donaudelta hat in etwa die Form eines gleichseitigen Dreiecks mit jeweils 80 Kilometer Seitenlänge. Insgesamt umfasst es gut 4100 Quadratkilometer Fläche, davon 3400 auf rumänischem Gebiet. Der größte Teil, etwa 2400 Quadratkilometer, ist Schilfgebiet, 70 bis 80 Prozent der Gesamtfläche sind zeitweilig oder permanent vom Wasser bedeckt. Das Delta hat drei große Mündungsarme. Der größte von ihnen, der Chilia-Arm, zweigt etwa acht Kilometer vor Tulcea nach Norden ab, und ab hier ist die Donau deutlich schmaler. Hinter Tulcea findet eine erneute Gabelung statt, die Donau spaltet sich nun in Sulina-Arm und Sfăntu-Gheorghe-Arm.

Charakteristisch für das Delta ist das komplexe hydrographische System mit seiner Vielzahl von Gewässerarten. So unterscheiden die Geologen tote, also versandete ehemalige Arme der Donau, Wasseradern geringeren Ausmaßes, Kanäle, Durchbruchsadern im Küstengebiet, durch die ein Austausch von Süß- und Salzwasser erfolgt, Senkseen, Küstenseen, Lagunen, Sümpfe und Japse. Das sind Seen, die nur bei Hochwasser gespeist werden. Dazwischen liegen Inseln und Treibinseln, Fluss- und Seesanddünen und das Festland. Auffällig sind die Grinduri (Festlandsstreifen). Das sind Anschwemmungen, die entweder vom Fluss (fluviatile Ablagerungen) oder vom Meer (maritime Ablagerungen) verursacht werden. Dieses Netz von Gewässern und Inseln ist durch das Ringen von Land und Meer und den Verschiebungen und den Zwischenformen zwischen beiden charakterisiert und in stetem Wandel begriffen.

Wegen der Unübersichtlichkeit und der sich ständig ändernden Landschaft hatte man von der Antike bis weit in die Neuzeit keine klaren Vorstellungen von den geographischen Verhältnissen, wusste noch nicht einmal, wo und in wie viele Arme geteilt die Donau mündet. Erst im Jahr 1856 fertigte der englische Kapitän Thomas Spratt eine genaue Karte an. Sie bildete den damaligen Zustand gut ab, ist aber heute nur noch bedingt stimmig: Die Leuchttürme von Sulina (1802) und Sfăntu Gheorghe (1856) beispielsweise, die damals die Endpunkte der Donau markierten, ihre Mündung in das Schwarze Meer, liegen heute einige Kilometer im Inland. Das Wasser führt pro Sekunde etwa zwei Tonnen Schwebestoffe mit sich, die diese Verlandung bewirken, und so wächst das Delta an manchen Stellen jährlich bis zu 40 Meter in das Schwarze Meer hinein.

Flora und Fauna

Die einzigartige Landschaft, die von Dünen bis zum Urwald zahlreiche Schattierungen aufweist, führte zur Ausbildung einer ganz spezifischen Tier- und Pflanzenwelt mit einem ungewöhnlichen Artenreichtum. Dazu trug auch die Lage des Deltas bei. Hier kreuzen sich gleich sechs Routen der Zugvögel, so dass man gerade im Frühjahr und Herbst besonders viele Vogelarten beobachten kann, die hier Durchzugs-, Rast- und Nistplätze finden.

Insgesamt geht man von über 300 Vogelarten aus. Die Ornithologen unterscheiden gemäß ihrer Herkunft fünf Haupttypen: mediterrane Arten wie Fischreiher, Sichler und Pelikan, europäische Arten wie Rohrnachtigall, Seeschwalbe und Fischadler, sibirische Arten wie Singschwan, Polartaucher und Großer Uhu, mongolische Arten wie Lämmergeier, Donaufalke und Steinadler sowie chinesische Arten wie Silberreiher, Großer Kormoran und Mandarinente. Einige Arten sind gefährdet und stehen daher unter besonderem Schutz.

Man hat etwa 150 Fischarten kategorisiert, darunter Hausen, Sternhausen, Karpfen, Wels, Zander, Hecht, Barbe. Karausche und Barsch. Plattfische fühlen sich in den ruhigeren Teilen des Deltas wohl, das Brackwasser suchen auch Hecht, Meeräsche und Flunder auf. Bekannt sind Donauhering und Stör, der den Donaukaviar liefert. Gerade er ist akut von der Überfischung bedroht, sein Bestand gefährdet. Zur spezifischen Population zählen zudem Otter, Fuchs, Wolf, Iltis, Wildkatze, Nerz und Bisamratte sowie die zahlreichen Schlangen-, Amphibien- und Schmetterlingsarten.

Auf den schwimmenden Vegetationsinseln haben sich Schilfrohr, Rohrkolben, Sumpffarn, Sumpfampfer, Vergißmeinnicht, Wasserminze und Wasserschierling niedergelassen, auf dem Festland dominieren die sumpfliebenden Bäume wie Silberweide, Pappel, Erle und Esche. Auf den zahlreichen Seen sind Weiße Seerose, Gelbe Seerose, Froschzange, Wassernuss und Wasserschere heimisch. Charakteristisch für das Delta sind außerdem fleischfressende Pflanzen und Lianen.

Der Mensch und seine Eingriffe

Das Delta ist dünn besiedelt. Bei deutlich abnehmender Tendenz ist es Heimat von kaum 14.000 Menschen, davon wohnt allein ein Drittel in Sulina. Viele leben vom Fischfang, der Jagd und der Subsistenzlandwirtschaft, und wegen fehlender wirtschaftlicher Perspektiven – die Arbeitslosigkeit liegt nach wie vor bei über 30 Prozent – wird sich diese Zahl vermutlich noch verringern. Einige Zeit haben die Menschen Hoffnung in den auch von der Europäischen Union propagierten sanften Tourismus gesetzt, das sensible Delta scheint aber schon jetzt kaum mehr Touristen vertragen zu können.

Mehr noch als andere Regionen Rumäniens war das Delta ein Kreuzungspunkt der unterschiedlichsten Völker. Daker, Griechen, Römer, Goten, Hunnen und Awaren kamen hier durch oder blieben für längere Zeit, später die Slawen, nach der Jahrtausendwende die Petschenegen, Kumanen und Mongolen. Das Delta stand 500 Jahre unter der Türkenherrschaft, in der Neuzeit prägten zudem Bulgaren, Juden und Griechen die Städte. Von vielen Völkern sind nur steinerne Überreste geblieben, von anderen nicht einmal das.

Viele Fischer bezeichnen sich heute noch als Lipowaner. Es sind orthodoxe Russen, die im 17.  Jahrhundert zuwanderten, nachdem sie sich geweigert hatten, sich dem Zaren zu unterwerfen. Sie sind oft blond und blauäugig, und die streng nach Traditionen lebenden Männer erkennt man daran, dass sie sich nicht rasieren. Bis weit in das 19.  Jahrhundert galt es als Strafe, im Delta zu wohnen. Hier fanden die Lipowaner jedoch einen Zufluchtsort, in dem sie ihre Kultur und Religion bewahren konnten.

Bis in die 1950er Jahre war das Delta weitgehend sich selbst überlassen, sieht man von der Begradigung des Sulina-Arms im 19.  Jahrhundert ab. Genaue Karten gab es kaum, und man wusste auch nicht so genau, wie viele Menschen welcher Herkunft wo genau lebten. Dann entdeckten es die sozialistischen Wirtschaftsplaner, deren Überlegungen in dem 1984 verabschiedeten »Programm zur komplexen Herrichtung und Nutzung des Donaudeltas« gipfelten. Zu diesem Zeitpunkt waren dem Delta schon schwere Schäden zugefügt worden. Durch den massiven Schilfabbau und Eindeichungen kam es zu Erosion, Versalzung und Austrocknung von etwa 20 Prozent der Fläche, die rücksichtslose Ausbeutung der Fischbestände verursachte ihren raschen Rückgang um 90 Prozent. Das realitätsfern gestrickte Programm sah vor, das Delta zu einem Drittel in Ackerland zu verwandeln, auf anderen Flächen Industrie anzusiedeln und das Schilf in großem Stil industriell auszubeuten. Dazu hätte man den Großteil der Flächen trockenlegen müssen, was das Ende des Deltas bedeutet hätte.

Glücklicherweise gibt es seit 1990 grenzüberschreitende Bemühungen zum Erhalt des Deltas, und einige Staudämme und Deiche wurden sogar wieder beseitigt, Flächen renaturiert. Etwa 1800 Quadratkilometer sind als Biosphärenreservat ausgewiesen und dabei in vier Schutzzonen unterteilt: Die 18 Kernzonen stehen unter besonderem Schutz und dürfen nicht betreten werden, in den Pufferzonen ist Landwirtschaft eingeschränkt möglich, in den Wirtschaftszonen Land- und Forstwirtschaft sowie Fischfang, dazu kommen Renaturierungszonen.

Die strengen Auflagen zum Erhalt des Landschaft werden aus wirtschaftlichen Gründen jedoch nicht überall befolgt. Noch immer sind gerade die Fischbestände, insbesondere der Stör, bedroht. Die empfindlichen Ökosysteme haben auch mit Verschmutzungen zu kämpfen, denn die großen Industriebetriebe in Brăila und Tulcea emittieren nach wie vor erhebliche Mengen an Umweltgiften, und wohl noch immer werden entgegen den Bestimmungen Pestizide eingesetzt.

Cover Reiseführer Kreuzfahrten Donau

Dieser Text stammt aus dem Trescher-Reiseführer KREUZFAHRTEN DONAU von Hinnerk Dreppenstedt.

KREUZFAHRTEN DONAU

Von Passau zum Schwarzen Meer

7., aktualisierte Auflage 2022
456 Seiten
ISBN 978-3-89794-602-6
19,95 €

 

Im Trescher Verlag sind zahlreiche weitere Reiseführer zu KREUZFAHRTEN UND FLUSSKREUZFARHTEN erschienen.