Weimar

Weimar – Hauptstadt für ein halbes Jahr

Deutsches Nationaltheater im Weimar
Im Deutschen Nationaltheater wurde 1919 Geschichte geschrieben (© Kerstin Sucher und Bernd Wurlitzer)

Anfang Januar 1919 ging es in Weimar so turbulent zu wie seitdem nie wieder: Die Stadt war zur Hauptstadt Deutschlands geworden – für etwa ein halbes Jahr. Nach dem Ersten Weltkrieg, dem Ende des Kaiserreichs und den Wahlen am 19. Januar 1919 zur Nationalversammlung standen Beratungen und Beschlüsse für ein demokratisch-republikanisches Deutschland auf der Tagesordnung. Die Politik suchte nach einer kleinen Stadt, in der man alles in Ruhe angehen kann. Die Wahl fiel auf Weimar. »Es wird von der ganzen Welt angenehm empfunden werden, wenn man den Geist von Weimar mit dem Aufbau des neuen Deutschen Reiches verbindet«, erklärte Friedrich Ebert, Vorsitzender der SPD und späterer Reichspräsident.

Das Hoftheater, wenige Tage zuvor in Deutsches Nationaltheater umbenannt, wurde zum Parlamentssitz. Den Zuschauerraum und die Bühne im Nationaltheater baute man zum Plenarsaal um, das Mobiliar kam aus dem Berliner Reichstagsgebäude. Die Regierung zog in das Residenzschloss. In der Aula des Sophiengymnasiums, der heutigen Parkschule, entstand ein Fernsprechamt, in dem rund 200 Telefonistinnen tätig waren. Zwischen Berlin und Weimar – mit einer Zwischenlandung in Leipzig – wurde die erste zivile Fluglinie Deutschlands eingerichtet. Täglich landeten Kurierflugzeuge und brachten Post und Zeitungen aus der Hauptstadt. Jeden Tag pendelte ein Parlamentszug zwischen Berlin und Weimar, rund viereinhalb Stunden benötigte er.

Weimar steht Kopf

Zu den Politikern gehörte ein riesiger Begleittross, dazu reisten Journalisten und Interessierte aus ganz Deutschland an. So strömten mehr als 2000 Gäste in die Stadt. Den 423 Abgeordneten wurden Hotels vorgeschlagen, doch ein Großteil entschied sich aus Kostengründen für private Unterkünfte, meist in Mehrfamilienhäusern. Mancher Weimarer zog in den Keller oder auf den Dachboden seines Hauses, denn Wohn- und Schlafzimmer zu vermieten, lohnte sich: Der Vermieter konnte horrende Preise verlangen und erhielt zusätzliche Kohlekarten.

Probleme bereitete jedoch – der Erste Weltkrieg war erst vor wenigen Wochen zu Ende gegangen – die Versorgung der vielen Gäste. Überliefert ist folgende Begebenheit: Als der am 11. Februar zum Reichspräsidenten gewählte Friedrich Ebert zu einer »zwanglosen Zusammenkunft« in den Weißen Saal des Residenzschlosses lud, bat er die Eingeladenen, Brotmarken mitzubringen.

Als die Nationalversammlung erstmals am 6. Februar 1919 zusammentrat, glich Weimar einer Festung, ein militärischer Sperrgürtel umgab die Stadt. Reichswehrminister Noske hatte fast 5000 Soldaten nach Weimar abkommandiert. Für Interessierte standen 40 Besucherkarten bereit, die heiß begehrt waren. Wer keine ergatterte, konnte sich trösten, Politiker traf man in dem kleinen Weimar fast an jeder Ecke.

Die Einwohner hatten Meldepflichten zu erfüllen und mussten strenge Kontrollen über sich ergehen lassen. Weiträumig abgeriegelt war das Schloss, in dem alle Räume belegt waren, lediglich in die Suite des abgedankten Großherzogs Wilhelm Ernst und in die Dichterzimmer durfte niemand einziehen. Im Schloss amtierten und wohnten Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann mit Ministern seines Kabinetts.

Unruhige Zeiten

Am 16. Juni forderten die Alliierten die deutsche Regierung auf, innerhalb einer Woche den Versailler Vertrag anzunehmen. Doch Scheidemann lehnte die Unterzeichnung ab und trat am 21. Juni mit seinem Kabinett zurück. Die Regierungsgeschäfte übernahm Gustav Bauer. Der Vertrag von Versailles, der Friedensvertrag, bestimmte in Weimar die Gespräche. Mit dessen Unterzeichnung endete der Erste Weltkrieg offiziell. Deutschland musste ein Siebtel seines Territoriums mit einem Zehntel seiner Bevölkerung abtreten, bekam Reparationszahlungen auferlegt und musste auf alle Kolonien verzichten. Die aus Berlin bei den Abgeordneten und Ministern eintreffenden Nachrichten waren auch alles andere als erfreulich. So wird von Generalstreiks, Straßenkämpfen sowie Massendemonstrationen von Linken und von Rechten berichtet.

Am 23. Juni stimmte die Nationalversammlung dem Versailler Vertrag zu, am 31. Juli nahm sie mit großer Mehrheit die Verfassung Deutschlands an. Damit war die Arbeit erledigt, ab dem 21. August kehrten Parlament und Regierung nach Berlin zurück. Und in der kleinen Thüringer Stadt zog wieder Geruhsamkeit ein. Der Bevölkerung war das recht, empfand sie die Sicherheitskontrollen doch als belastend, zum anderen zogen die Preise für Dinge des täglichen Lebens gewaltig an. Traurig über den Rückzug der Politik waren hingegen Gastronomen, Hoteliers, Händler, Kleinkünstler und die beiden Kinos, die in diesem halben Jahr die besten Umsätze ihres Lebens gemacht hatten.

Der Zeitraum zwischen 9. November 1918, dem Ende der Monarchie, bis zum 30. Januar 1933, dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur, wird inoffiziell »Weimarer Republik« genannt, die erste demokratische Verfassung Deutschlands heißt bis heute »Weimarer Verfassung«.

Ausstellungsraum im Haus der Weimarer Republik
Blick in die Dauerausstellung im Haus der Weimarer Republik (© Weimarer Republik e.V.)

Haus der Weimarer Republik

2019 bekam Weimar endlich ein Museum, das an diese bedeutungsvolle Zeit erinnert. In der klassizistischen Remise am Theaterplatz, die als Kulissenhaus für das Theater, als Kunsthalle und zuletzt provisorisch als Bauhaus-Museum fungierte, öffnete das Haus der Weimarer Republik. Ein zwanzigminütiger Einführungsfilm führt die Besucher in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und stimmt auf die Dauerausstellung ein. Die stellt mit vielfältigen Exponaten und Bildern den Glanz, aber auch die Tragik der Weimar Republik vor. Der Altbau bekommt gegenwärtig einen modernen Museumsanbau.

Cover Trescher-Reiseführer Weimar

Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer WEIMAR von Kerstin Sucher, Bernd Wurlitzer.

WEIMAR

Sehenswürdigkeiten, Kultur, Events
Mit Dornburger Schlössern, Schloss Kochberg und Bad Sulza

 

1. Auflage 2023
236 Seiten
ISBN 978-3-89794-525-8

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